Atomkraft: Deutschland steigt aus – europäische Nachbarländer bauen aus

Vor einigen Tagen schaltete Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke ab. In der Zwischenzeit investierten die europäischen Nachbarstaaten in neue Kernkraftwerke (Wirtschaftswoche: 11.04.23). Haben wir mit dem Ausstieg aus der Atomkraft auf dem richtigen Weg befunden oder waren wir auf dem Irrweg?


Grüne feiern endgültige Abschaltung der letzten Kernkraftwerke

Nach mehr als 40 Jahren Kampf gegen die Nutzung der Kernenergie feierten die Atomkraftgegner am 15. April die endgültige Abschaltung der letzten Kernkraftwerke. Dazu haben die Grünen bereits im Vorfeld Fototermine vereinbart und Presseerklärungen abgegeben. Jedoch sollte der triumphale Auftritt, den Anti-AKW-Veteranen wie Jürgen Trittin sich gewünscht hätten, einem sachlichen Auftritt weichen. Die Verzögerung der AKW-Nutzung um weitere dreieinhalb Monate, die Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober letzten Jahres per Machtwort, nur einen Tag nach dem Ende des Grünen-Parteitags in Bonn angeordnet hatte, steckt den Grünen noch in den Knochen.

Uneinigkeit in der EU über Förderung der Atomkraft: Deutschland und Spanien dagegen, Frankreich, Italien und osteuropäisch Staaten dafür
Uneinigkeit in der EU über Förderung der Atomkraft: Deutschland und Spanien dagegen, Frankreich, Italien und osteuropäisch Staaten dafür

Wirtschaftsminister Robert Habeck betonte nochmals mit Nachdruck am Osterwochenende: Diesmal ist das Ende endgültig. Nach der Abschaltung am 15. April werden die letzten drei Kraftwerke früher oder später abgebaut, so der Grünen-Politiker. Er betonte auch, dass der Neubau von Atomkraftwerken sich immer als ökonomisches Fiasko dargestellt habe – sei es in Frankreich, Großbritannien oder Finnland. Die Betreiber hätten auch kein Interesse daran.


Deutschland steigt aus, Frankreich baut aus: Uneinheitliche Entwicklung in der Atomenergie

Während also viele in Deutschland den Ausstieg aus der Atomkraft feiern, arbeiten unsere Nachbarländer, allen voran ausgerechnet Frankreich, an einem Ausbau der Atomenergie. Bis Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen sechs neue Kernkraftwerke die bereits beträchtliche Produktionskapazität der französischen Atomindustrie weiter erhöhen. Aktuell befindet sich jedoch nur ein Kraftwerk im Bau – der Erweiterungsmeiler in Flamanville in der Normandie.

Obwohl es in Frankreich immer wieder technische Probleme mit den bestehenden Atomkraftwerken gibt, hindert dies weder die Regierung in Paris noch die Unternehmen daran, ihre Ausbaupläne voranzutreiben. Die Bevölkerung hat die Nutzung der Kernenergie weitgehend akzeptiert, da mehr als die Hälfte des Stroms in Frankreich aus Atomkraftwerken stammt. In Frankreich findet man kaum Demonstrationen, Blockaden oder regelrechte Feldzüge gegen diese Technologie.

Pro-Atom-Allianz in Osteuropa: Steigende Kapazitäten bei der Kernkraftproduktion trotz kontroverser Debatte in Westeuropa

Im Jahr 2021 verzeichneten mehrere Länder, darunter Rumänien, Ungarn, Tschechien, die Niederlande, Belgien, Finnland und Slowenien, entgegen dem allgemeinen Trend steigende Kapazitäten bei der Produktion von Atomstrom. Besonders in Osteuropa bildet sich eine starke Pro-Atom-Allianz in der EU. Diese Länder waren vor dem Ukrainekrieg die größten Abnehmer von russischem Gas und suchen nun nach dringendem Ersatz. Zudem wird in diesen Ländern immer noch ein hoher Anteil der Stromerzeugung aus Kohle gewonnen, mit 40 Prozent in Tschechien und sogar 70 Prozent in Polen. Um den klimaschädlichen Ausstoß von Kohle zu reduzieren, planen diese Länder den Ausbau der Kernkraft als CO₂-freie Alternative, nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch wegen der steigenden Preise für Emissionszertifikate. Obwohl auch in erneuerbare Energien investiert wird, liegt ein Schwerpunkt auf dem Ausbau der Kernkraft.

In Westeuropa wird es als befremdlich empfunden, dass Länder wie Ungarn weiterhin auf russische Atomtechnik setzen. Im Gegensatz dazu vertraut Polen beim Neubau des ersten Atomkraftwerks in der Nähe von Danzig ausschließlich auf US-Technik der Firma Westinghouse, ebenso wie Rumänien. Polen hat dabei klare Bedingungen gestellt, dass weder das Brennmaterial Uran noch die Brennstäbe selbst aus Russland bezogen werden dürfen. Dies könnte darauf hinweisen, dass geopolitische und sicherheitspolitische Aspekte eine Rolle spielen und Länder in Westeuropa ein Misstrauen gegenüber der Abhängigkeit von russischer Atomtechnik haben. Polen und Rumänien scheinen daher alternative Lieferanten für ihre Atomtechnik zu suchen, um ihre Unabhängigkeit von Russland zu gewährleisten.


Debatte um Kernkraft als CO₂-freie Energiequelle für grünen Wasserstoff: Uneinigkeit über Förderung in Osteuropa und darüber hinaus

Tatsächlich gibt es in einigen Ländern, insbesondere in Osteuropa, die Kernkraft als eine CO₂-freie Energiequelle betrachten, die für die Produktion von grünem Wasserstoff und die Erreichung von Klimazielen von entscheidender Bedeutung sein kann. Kernkraftwerke gelten als eine kontinuierliche und zuverlässige Energiequelle, die keine Treibhausgasemissionen verursacht und somit als eine mögliche Option für die Herstellung von grünem Wasserstoff betrachtet wird.

Allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Förderung von Kernkraft in diesem Kontext aussehen sollte. Einige Befürworter argumentieren für finanzielle Anreize und Investitionen in den Ausbau der Kernkraft, während Kritiker Bedenken hinsichtlich der Sicherheit, Entsorgung von radioaktiven Abfällen und der nuklearen Proliferation äußern.

Die Frage der Förderung von Kernkraft ist also ein umstrittenes Thema, bei dem es unterschiedliche Meinungen und Interessen gibt. Während einige Länder Kernkraft als eine klimafreundliche Option für die Produktion von grünem Wasserstoff sehen, gibt es auch andere, die auf erneuerbare Energien setzen und Bedenken hinsichtlich der Risiken und Kosten von Kernkraft äußern.

Uneinigkeit in der EU: Deutschland und Spanien gegen Atomkraft, Frankreich und Italien dafür

Im Gegensatz dazu lehnen Deutschland und Spanien die Kernkraft strikt ab, während Frankreich und die Mehrheit der EU-Mitglieder an einer entgegengesetzten Sichtweise festhalten. Auch Italien hat sich unter der neuen Regierung in Rom wieder vermehrt der Atomkraft zugewandt, da Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Bau einer neuen Generation von Kernkraftwerken plant.


Die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen neigt noch der Sichtweise der Bundesregierung zu. Von der Leyen äußerte nach der letzten Energieministerkonferenz Ende März in Brüssel, dass die Atomenergie zwar „eine Rolle bei unseren Bemühungen zur Dekarbonisierung spielen“ könne. Jedoch wird die Kernkraft aus Sicht der Kommission bei der finanziellen Förderung grüner Industrien nicht als strategisch gleichwertig mit der Energie aus Wind und Sonne betrachtet.

Trotz des hartnäckigen Protests von Frankreich und einigen EU-Mitgliedstaaten, die die Atomkraft eher ausbauen als reduzieren wollen, wird der Entwurf des europäischen Fördergesetzes zur Förderung klimaneutraler Technologien als nicht akzeptabel angesehen. Insidern zufolge wird erwartet, dass der Entwurf noch „stark verändert wird“, da „die Sichtweise der Deutschen in der EU nicht mehrheitsfähig ist“.

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