Die geplanten bzw. in Teilen schon beschlossenen Energiepreisdeckel für Gas und Strom lehnen viele Ökonomen ab. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die das neue Ökonomenpanel veröffentlicht. Es betrachtet die hohen Gaskosten und mögliche Maßnahmen ihrer Eindämmung. Dabei positioniert sich eine Mehrheit der VWL-Professoren gegen einen Energiepreisdeckel für die Energieträger Strom und Gas. Jedoch befürworten die Volkswirtschaftler ein Energiegeld ebenso wie den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken (faz, 06.10.2022).
Hintergrund
Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche einen „Abwehrschirm“ gegen die exorbitant steigenden Energiepreise angekündigt. Er soll private Verbraucher und Unternehmen unterstützen. Hierfür wurde eine Kommission aus Ökonomen sowie Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern eingesetzt, die Vorschläge erarbeitete und diese am 10. Oktober 2022 unterbreitete. Sie müssen noch von der Bundesregierung beschlossen werden. Sie laufen im Prinzip auf einen Preisdeckel hinaus.
Entlastungen über Energiegeld statt Energiepreisdeckel
Führende Wirtschaftswissenschaftler sehen durchaus die Notwendigkeit, Bürger und Unternehmen von den steigenden Energiekosten zu entlasten. Eine Mehrheit der deutschen Ökonomieprofessoren lehnt aber einen Preisdeckel für Gas und Strom ab. Stattdessen solle es Energiegelder als Transferzahlungen geben, so die Fachleute. Diese Mehrheitsmeinung hat das neue Ökonomenpanel ermittelt, das vom Münchner Ifo-Institut und der F.A.Z. gemeinsam veröffentlicht wird. Die regelmäßige Umfrage ermittelt Positionen von Wirtschaftswissenschaftlern zu aktuellen ökonomischen Fragen. Dieses Mal hatten 178 Professoren teilgenommen, die Volkswirtschaftslehre an deutschen Universitäten unterrichten. Es beantwortete nicht jeder Teilnehmer alle Fragen. Der Tenor der ökonomischen Fachmeinung läuft darauf hinaus, dass die Hilfen nicht mit der Gießkanne verteilt werden sollten, wie es bei einem Preisdeckel für Energieträger unweigerlich geschieht. Vielmehr sollten vor allem ärmere Haushalte entlastet werden, während es unproblematisch sei, wenn Gutverdiener überhaupt keine Kompensation erhielten. Im Detail positionierten sich die Experten wie folgt:
- 83 % der Professoren sprechen sich grundsätzlich für Entlastungen von Haushalten und Unternehmen aus.
- 68 % der Befürworter möchten Haushalte per Energiegeld entlasten.
- 14 % präferieren den Strom- und Gaspreisdeckel.
Der Kieler Professor Till Requate verweist in einem Kommentar auf die geringeren Kosten bei direkten Transfers. Prof. Martin Biewen (Tübingen) lehnt Preiseingriffe grundsätzlich ab, weil sie Indikatoren für Knappheit oder Überfluss seien. Auch deshalb seien Transferleistungen an bedürftige Unternehmen und Haushalte der bessere Weg.
Atomkraftwerke brächten signifikante Entlastung
Die Wirtschaftswissenschaftler sprachen sich auch mehrheitlich für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken aus, die den Energiemarkt deutlich entlasten könnte. Hierfür sprachen sich 81 % der Befragten aus. Zunächst ging es dabei nur um die drei letzten deutschen AKWs, die eigentlich Ende 2022 vom Netz gehen sollten. Wenn diese im kommenden Jahr noch weiterbetrieben würden (möglicherweise auch noch länger, was aber die Beschaffung neuer Brennstäbe erfordern würde), dürfte das nach Meinung der Volkswirtschaftler den Strommarkt deutlich entlasten. Zusammen mit gezielten Transfers an finanzschwächere Marktteilnehmer könne dadurch ein Ausweg aus der drohenden Energiekrise geschaffen werden.
Wichtige Lenkungswirkung hoher Preise
Die Ökonomen verwiesen auch auf die Lenkungswirkung von Preisen, die unbedingt erhalten bleiben müsse. Preise ergeben sich durch die Relation zwischen Angebot und Nachfrage. Die Wissenschaftler wiesen darauf hin, dass man das Angebot an Energie durchaus erhöhen können, indem beispielsweise Regularien verschwinden, die in Deutschland immer noch den Ausbau der erneuerbaren Energien erschweren. Auch sollten weitere Flüssiggas-Terminals gebaut werden. Drittens müssten Übertragungsnetze für Strom deutlich ausgebaut werden. Diese drei Maßnahmen würden das Angebot an Strom ausweiten. Wenn man gleichzeitig durch Sparmaßnahmen die Nachfrage verringern könne, würde dieses Paket preisdämpfend wirken, so der Ifo-Forscher Niklas Potrafke. Ein Energiepreisdeckel hingegen führe gerade nicht zu einer sinkenden Nachfrage. Daher sei er der falsche Weg. Die Lenkungswirkung auch von hohen Preisen müsse erhalten bleiben. Nur diejenigen bedürftigen Marktteilnehmer, die dadurch in ihrer Existenz bedroht seien, sollten Transferzahlungen erhalten.
Nötige Anreize für Einsparungen
Rund zwei Drittel der Befragten sprachen sich dafür aus, den privaten Haushalten und den Betrieben Anreize für Energieeinsparungen zu liefern. Die Jenaer Professorin Silke Übelmesser schrieb dazu in einem Kommentar, dass die Maßnahmen unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung sehr zielgerichtet die verteilungspolitischen Folgen auffangen, jedoch nicht die relativen Preise verzerren sollten. Diese seien wichtige Knappheitssignale. Prof. Harald Fadinger (Mannheim) rät ebenfalls von einem Preisdeckel ab, befürwortet aber die Entlastung von Geringverdienern und von energieintensiven Unternehmen durch direkte Transfers. Es müsse jedoch Sparanreize geben. Außerdem sprach er sich für eine Abschöpfung von Übergewinnen der Energieunternehmen aus, mit denen man die Transfers finanzieren könne. Dies sei eindeutig ein besserer Weg als die Finanzierung eines Preisdeckels durch Schulden, so der Experte.
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