Norwegen plant eine umfassende Untersuchung zum Einsatz von Kernenergie. Trotz eines hohen Anteils an Ökostrom im Energiemix, der im Jahr 2023 bei etwa 98 % lag, sieht sich das Land mit steigenden Strombedarfen konfrontiert. Um diesen Bedarf zu decken, möchte Norsk Kjernekraft AS, ein führendes Unternehmen im Bereich Kernenergie, kleine modulare Reaktoren einsetzen. Ein erstes Kernkraftwerk soll im Taftøy Industriepark zwischen Aure und Heim errichtet werden. Diese Anlage soll jährlich rund 12,5 TWh produzieren. Bereits im November 2023 informierte das Unternehmen das Energieministerium über seine Pläne und schlug ein Untersuchungsprogramm vor. Dies markiert den ersten Schritt im Genehmigungsverfahren und löst verwaltungsrechtliche Anforderungen aus (businessportal-norwegen: 24.05.24).
Norwegen plant umfassende Studie zur Zukunft der Kernenergie: Parlamentarier und Energieminister unterstützen Initiative
Mehrere Parlamentarier verschiedener Fraktionen unterstützen die geplante Untersuchung. Energieminister Terje Aasland betonte die Notwendigkeit, die Wissensbasis über Kernenergie zu erweitern. „Wir möchten alle Aspekte der Kernenergie beleuchten“, erklärte Aasland. Eine umfassende Studie soll die sicherheitspolitische und geopolitische Lage, das Abfallproblem sowie die verschiedenen Technologien wie Kernspaltung und -fusion untersuchen. Diese Studie könnte ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Gleichzeitig legt die Regierung nun eine Machbarkeitsstudie von Norsk Kjernekraft zur Konsultation vor.
In einer Stellungnahme des Energieministeriums vom 21. Mai 2024 hieß es: „Die Fachkenntnisse und Wissensbasis zur Kernenergie reichen derzeit nicht aus, um die Frage einer möglichen zukünftigen Rolle der Kernenergie im norwegischen Energiesystem angemessen behandeln zu können.“ Bevor eine Entscheidung getroffen werden könne, müsse eine solide Wissensbasis vorhanden sein.
Historie und Zukunft der Kernenergie in Norwegen
Norwegen hat eine lange Geschichte in der Kerntechnologie. Bereits 1951 installierte das Land als sechstes weltweit Kernreaktoren, die allerdings nur zu Forschungszwecken dienten. Insgesamt vier Reaktoren wurden in Kjeller und Halden errichtet. Der letzte Reaktor, JEEP II in Kjeller, wurde im Frühjahr 2019 geschlossen. Atomkraft spielte nie eine Rolle in der norwegischen Stromversorgung. Derzeit laufen umfangreiche Arbeiten zur Stilllegung der Anlagen und zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle. In Himdalen gibt die 1998 eröffnete nationale Deponie für schwach- und mittelradioaktive Abfälle.
Norsk Kjernekraft AS, gegründet am 15. Juli 2022, hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit der Industrie kleine modulare Reaktoren in Norwegen zu bauen. Diese sollen netzunabhängig zuverlässige Energie liefern, etwa für Rechenzentren. Eine Absichtserklärung über die Lieferung großer Mengen emissionsfreier Energie wurde mit dem Nickelwerk Glencore Nikkelverk in Kristiansand unterzeichnet. Zudem besteht eine Zusammenarbeit mit dem finnischen Kernkraftbetreiber TVO Nuclear Services Oy.
Eine Umfrage von Ipsos zeigt, dass die Zustimmung zur Kernenergie in Norwegen stark gestiegen ist. Immer mehr Norweger betrachten Kernenergie als bevorzugte Energiequelle, während die Unterstützung für Solar- und Windenergie zurückgegangen ist.
Internationale Kooperation und Forschung
Am 22. Mai unterzeichneten die National Nuclear Security Administration (NNSA) und das norwegische Außenministerium eine gemeinsame Erklärung zur Minimierung von hoch angereichertem Uran. Die beiden Institutionen arbeiten seit vielen Jahren zusammen und haben seit 2020 bedeutende Fortschritte bei der Beseitigung hochangereicherten Urans in Norwegen erzielt. Noch in diesem Jahr soll die erste Phase der landesweiten Herabmischung beginnen, um Norwegen auf die Liste der Staaten zu setzen, die frei von hochangereichertem Uran sind. NNSA und MFA bekräftigen ihre gemeinsamen Ziele, die nukleare Sicherheit und das Nichtverbreitungsregime zu stärken.
In Norwegen betreibt das IFE seit mehreren Jahren Forschungen zu kleinen modularen Reaktoren. Im vergangenen Jahr hat Norwegen das Kernforschungszentrum Nukleærsenteret gegründet, um das Fachwissen in Kernphysik und -chemie zu erweitern. Das 1958 ins Leben gerufene Halden-Projekt, bleibt das größte und internationalste Forschungsprojekt zur Kernenergie in Norwegen. Obwohl die Brennstoff- und Materialforschung nach der Abschaltung des Halden-Reaktors im Jahr 2018 beendet ist, setzt man dort die Forschungsaktivitäten im Bereich des sicheren Betriebs fort. Derzeit sind zwölf Länder am HTO-Projekt beteiligt.
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