Die Pegelstände der mitteleuropäischen Flüsse haben wegen der Dürre historische Tiefststände erreicht. Das bremst die Binnenschifffahrt aus, die ihre Schiffe nur noch mit der Hälfte der üblichen Last beladen können. Dadurch können sie nicht genügend Kohle transportieren, die wiederum für Kraftwerke benötigt wird. Das dürfte den Ausstieg aus der Gasverstromung behindern (ZEIT Online, 28.07.2022).
Auslastung der Schiffe zwischen 40 und 50 %
Der Schifffahrtsverband weist darauf hin, dass die Binnenschiffe je nach Fluss nur noch 40 bis 50 % der üblichen Last transportieren können. Voll beladen würden sie bei den niedrigen Pegelständen auf Grund laufen. Die größten Probleme gibt es demnach gerade bei den beiden Hauptverkehrsadern Donau und Rhein. Doch auch die Elbe, Weser und Oder sind betroffen. Im Grunde herrscht in jedem für die Binnenschifffahrt benötigten Fluss abschnittsweise Niedrigwasser.
Die Reedereien reagieren bislang auf die Umstände, indem sie für die gleiche Fracht doppelt so viele Schiffe einsetzen. Das kostet sie nichts, weil es den sogenannten Kleinwasserzuschlag gibt: Die gestiegenen Kosten wegen des zu niedrigen Wasserstandes müssen die Kundenunternehmen tragen. Damit sind beide Seiten (Kundenunternehmen und Schiffer) nicht sonderlich glücklich, doch anders lassen sich die Transporte aktuell nicht regeln. Das größere Problem besteht darin, dass die Zahl der charterbaren Schiffe begrenzt ist. Zur Zeit ist sie besonders knapp, weil viele Schiffe Getreide aus der Ukraine transportieren müssen. Sie fahren über die Donau nach Rumänien. Auch dort herrscht Niedrigwasser, was also auch diese Transporte verzögert. Daher kann aktuell niemand sagen, wann sich die Lage entspannen könnte.
Anteil der Binnenschifffahrt an den Gesamttransporten
Die Binnenschifffahrt befördert 6,9 % aller Güter in Deutschland. Dafür waren 2020 rund 2.100 Schiffe mit 188 Millionen Tonnen unterwegs. Auf die Transporte mit Lkws entfallen 72,5 % der gesamten Transportmenge, auf die Schiene 18 %. Der Rest der Güter wird über Rohrleitungen transportiert. Allerdings sind die Schiffe für den Transport von Rohstoffen sehr wichtig. Auf dem Flussweg gelangen Erze, Erden und Steine sowie Kokerei- und Mineralölerzeugnisse zu den Kunden. Auch Kohle, Erdgas und Rohöl werden auf Flüssen verschifft, was aktuell problematisch ist.
Öl und Kohle sollen ja nun nach den Plänen der Bundesregierung wieder vermehrt als Energieträger zum Einsatz kommen. Es werden wieder stillgelegte Kohle- und Ölkraftwerke aus der Netzreserve angefahren (insgesamt 16), viele von ihnen liegen an Flüssen. Die Kohle kommt über die Wasserstraße. Der Verein der Kohleimporteure beziffert allein die Kohleeinfuhren aus den Niederlanden auf zwei Drittel der Gesamtmenge, sie gelangen über den Rhein zu den deutschen Kraftwerken.
Große Nachfrage nach Steinkohle
Die Logistiker bemerken aktuell eine riesige Nachfrage nach Steinkohle. Die Mengen für die Binnenschifffahrt steigen bei diesem Energieträger und genauso bei Öl und Gas an. Im Jahr 2021 wurden auf deutschen Flüssen 23 Millionen Tonnen Rohöl, Erdgas und Kohle verschifft, 2022 könnten es mehr als 30 Millionen Tonnen werden. Die Kraftwerksbetreiber kennen das aktuelle Problem mit den Transporten über Flüsse und haben sich teilweise vorausschauend mit den Energieträgern eingedeckt. So sagte eine Sprecherin von EnBW, dass man schon im zweiten Quartal 2022 vorgesorgt habe. Der Konzern betreibt die Hälfte der Kraftwerke für die Netzreserve.
Inzwischen hat auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) reagiert und will den Schienenweg für die betreffenden Transporte künftig priorisieren. Das begrüßen die Kraftwerksbetreiber. Die Binnenschiffer sehen das Umschwenken auf die Bahn allerdings skeptisch, denn einige Reeder berichten, dass vielmehr Bahn- und Lkw-Spediteure bei ihnen nach freien Kapazitäten fragen würden. Die Binnenschifffahrt scheint also für die Rohstofftransporte unverzichtbar zu sein. Bei der Bahn fehlen jetzt schon Waggons und Lokführer.
Ruhe vor dem Sturm
Die Transporteure hoffen auf Hilfe durch den Bund, der die systemrelevanten Verkehrsträger unterstützen müsse. Die Branche benötige nach Aussagen verschiedener Fachleute mehr Geld und Personal für die Verwaltung von bundeseigenen Wasserstraßen. Der betreffende Etat wurde allerdings erst unlängst für 2022 um ein reichliches Fünftel (350 Millionen Euro) gekürzt. Auch gibt es schon seit 2019 einen Acht-Punkte-Plan für Verbesserungen bei der Rheinschifffahrt, der nicht umgesetzt wird, wie Verbandsvertreter anmahnen. Die Kohleimporteure weisen wiederum darauf hin, dass im Herbst noch deutlich mehr Kohle verladen wird. Die Herausforderungen werden also noch wachsen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Pegelstände im Herbst wieder erholen. Das geschieht aber nicht zwangsläufig. So waren beispielsweise im Oktober 2018 die Pegel mancherorts so weit gefallen, dass große Schiffe im Hafen bleiben mussten. Auch im laufenden Jahr sehen die Schiffer keine schnelle Erholung. Fachleute geben ihnen Recht. So schrieben Verantwortliche der Bundesanstalt für Gewässerkunde in einem Bericht aus der letzten Juliwoche 2022, dass die niedrigen Wasserstände in den Flüssen saisonal eher untypisch seien und sich wahrscheinlich bis Anfang September nicht erholen würden.
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