Thyssen-Krupp könnte eines seiner ehrgeizigsten Vorhaben aufgeben – die Umstellung auf grünen Stahl unter Einsatz von Wasserstoff. Trotz bereits geflossener staatlicher Subventionen in Höhe von rund 500 Millionen Euro steht das milliardenschwere Projekt vor dem Aus. Sowohl der Bund als auch das Land Nordrhein-Westfalen hatten insgesamt zwei Milliarden Euro für die Transformation zugesagt. Doch angesichts wachsender wirtschaftlicher Unsicherheiten und technologischer Hürden erwägt der Vorstand nun, das Vorhaben zu stoppen (handelsblatt: 08.10.24). Ist Wasserstoff wirklich der Schlüssel zu klimafreundlicher Stahlproduktion, oder eine kostspielige Fehlentscheidung?
Wasserstoff als fragwürdige Lösung
Wasserstoff wird oft als Schlüsselelement für eine klimafreundliche Zukunft dargestellt, auch in der Stahlproduktion. Der Plan bei Thyssen-Krupp sah vor, die bisherigen kohlebasierten Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen zu ersetzen, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden sollen. Doch schon hier zeigen sich erhebliche Hürden: Die benötigten Mengen an grünem Wasserstoff sind in Deutschland noch lange nicht verfügbar. Die Wasserstoffproduktion in großem Maßstab bleibt technisch und infrastrukturell anspruchsvoll und teuer. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft hat bislang nicht die erforderlichen Fortschritte gemacht, um derartige Großprojekte zeitnah zu unterstützen.
Ein weiteres Problem ist der immense Energiebedarf. Um die notwendigen 143.000 Tonnen Wasserstoff jährlich zu erzeugen, braucht es eine enorme Menge an erneuerbarer Energie. Das wirft nicht nur Fragen zur Verfügbarkeit, sondern auch zur Kostenstruktur auf. Die Produktion von Wasserstoff ist äußerst energieintensiv, und die damit verbundenen Kosten könnten den grünen Stahl so teuer machen, dass er am Markt nur schwer konkurrenzfähig wäre.
Hohe Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit
Die Umstellung auf wasserstoffbasierte Stahlproduktion bringt nicht nur ökologische Vorteile, sondern auch enorme wirtschaftliche Risiken mit sich. In der ersten Phase der Umstellung würde die neue Anlage noch mit Erdgas betrieben, was nur eine begrenzte Reduktion der CO₂-Emissionen um 40 Prozent ermöglichen würde. Für den Rest müssten CO₂-Zertifikate erworben werden, was die Produktionskosten weiter in die Höhe treibt. Dies könnte den Stahl so teuer machen, dass er auf dem internationalen Markt nicht mehr wettbewerbsfähig wäre.
Mehrere mit dem Projekt vertraute Personen sehen diese Problematik ebenfalls kritisch. Selbst wenn es gelingen würde, die Stahlproduktion vollständig auf Wasserstoff umzustellen, bliebe die Frage, ob die Investitionen langfristig rentabel wären. Der Markt für grünen Stahl ist noch sehr klein, und es gibt Zweifel, ob die Nachfrage ausreichen wird, um die hohen Produktionskosten zu decken. Auch die Infrastruktur zur Verteilung von Wasserstoff ist in vielen Regionen Europas unzureichend ausgebaut, was zusätzliche Hindernisse schafft.
Die Rolle des Investors Kretinsky
Diese Unsicherheiten haben dazu geführt, dass der tschechische Investor Daniel Kretinsky das Projekt infrage stellt. Kretinsky, der bereits 20 Prozent der Stahlsparte von Thyssen-Krupp hält, könnte noch in diesem Jahr seinen Anteil auf 50 Prozent erhöhen. Doch es steht infrage, ob er dieses Risiko eingehen will. Laut Verträgen kann er aus dem Projekt aussteigen, ohne Geld zu verlieren – eine Option, die er möglicherweise zieht, falls sich die wirtschaftlichen Prognosen weiter verschlechtern. Sein Einfluss könnte das Schicksal des Projekts maßgeblich bestimmen.
Alternativen zur Wasserstoff-Technologie
Angesichts dieser Herausforderungen prüft Thyssen-Krupp auch Alternativen zur reinen Wasserstofftechnologie. Eine Option wäre der Einsatz von Elektrolichtbogenöfen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Diese Technik ist weniger abhängig von der Verfügbarkeit von Wasserstoff und könnte schneller umgesetzt werden. Allerdings erfordert sie ebenfalls enorme Energiemengen. Zum Vergleich: Ein Elektrolichtbogenofen bei einem anderen deutschen Stahlproduzenten benötigt so viel Energie wie eine Stadt mittlerer Größe. Die Frage bleibt, ob das Energiesystem Deutschlands in der Lage sein wird, diese Nachfrage zu decken.
Zudem gibt es Zweifel, ob die Umstellung auf Elektrolichtbogenöfen allein ausreichen würde, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Zwar würde die CO₂-Belastung gesenkt, aber der Einsatz von fossilen Brennstoffen wäre immer noch notwendig, solange nicht genügend erneuerbare Energie verfügbar ist.
Wasserstoff als teure und unsichere Option
Die Idee, Stahl mithilfe von grünem Wasserstoff klimaneutral zu produzieren, klingt auf dem Papier vielversprechend. Doch die Realität zeigt, dass dieses Konzept derzeit mit erheblichen Problemen behaftet ist. Die Kosten für die Umstellung sind hoch, die technologische Umsetzung steht noch am Anfang, und die Energie- und Wasserstoffinfrastruktur ist bei weitem nicht ausreichend entwickelt. Es ist fraglich, ob Thyssen-Krupp diesen riskanten Weg weitergehen kann, ohne sich dabei wirtschaftlich zu übernehmen.
Insgesamt bleibt offen, ob Wasserstoff wirklich die beste Lösung für eine klimaneutrale Stahlproduktion ist. Angesichts der vielen offenen Fragen könnte der Konzern gezwungen sein, auf alternative Technologien zu setzen oder das Projekt komplett aufzugeben.
Lesen Sie auch:
- 10.000 Jobs in Gefahr: Thyssen-Krupp steht vor radikalen Einschnitten
- Deutsche Stahlproduktion erreicht den niedrigsten Stand seit 14 Jahren
- Stahlhersteller ArcelorMittal – Stahl aus grünem Wasserstoff nicht konkurrenzfähig
- Hohe Energiekosten: Thyssenkrupp warnt vor Verlust des Stahl-Standorts Deutschland