Da Russland kaum noch Erdgas exportiert, fehlen dem Weltmarkt große Mengen an Gas. Deutschland muss viel Geld ausgeben, um die Gasversorgung zu sichern und kauf große Mengen Flüssiggas am Weltmarkt auf. Dadurch bekommen ärmere Schwellenländer ein immer größeres Versorgungsproblem (Handelsblatt: 09.01.23).
Deutsche Gasversorgung im Jahr 2022 hatte negative Auswirkungen auf andere Länder
Die Versorgung von Deutschland mit Gas sah im Jahr 2022 weitgehend gut aus. Es gab keinen befürchteten Gasnotstand und die Gasspeicher sind aufgrund der milden Temperaturen bereits wieder zu 90 % gefüllt. Es gibt allerdings auch eine Kehrseite: Das Gas, das Deutschland in den letzten Monaten gekauft hat, fehlt anderswo auf der Welt. Dies zeigen Daten des Marktforschungsunternehmens Icis. Dieses hat zusammengestellt, wie viel Gas verschiedene Länder 2022 importiert haben und wo die Importe stark gesunken sind. Schwellenländer im asiatischen Raum waren besonders betroffen.
Präsident der Netzagentur bezeichnet Situation als „furchtbares Dilemma“
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte bereits im Mai in der Talkshow „Markus Lanz“ befürchtet, dass Deutschland durch seine Gasimporte andere Länder bei ihren Gasimporten beeinträchtigen könnte. Er sagte, dass „auch das ein Teil der Wahrheit“ und ein „furchtbares Dilemma“ sei. Er wollte jedoch auch auf mehrfache Nachfrage nicht sagen, welche Länder genau betroffen sein würden.
Wenn Länder sich gegenseitig Gas wegkaufen, geht es um Liquefied Natural Gas (LNG). Das ist verflüssigtes Erdgas. Im Gegensatz zu dem Gas, das bislang durch Pipelines wie Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland gekommen ist, kann verflüssigtes Gas auf Schiffe geladen und flexibel um die Welt transportiert werden. Wer am meisten bezahlt, bekommt LNG.
Die Internationale Energieagentur (IEA) stellt fest, dass die weltweite Gasnachfrage 2022 etwa 4100 Milliarden Kubikmeter betrug. Laut Icis umfasste der weltweite LNG-Handel rund 550 Milliarden Kubikmeter, was etwa 13 % der gesamten Nachfrage ausmachte. Der Vorteil von LNG ist, dass es jedes Land, das Häfen mit entsprechenden Terminals hat, importieren kann. Es braucht keine Pipeline-Verbindung zu einem Gaslieferanten. Einige Länder haben langjährige LNG-Lieferverträge mit anderen Staaten abgeschlossen und bekommen regelmäßig ihre Gaslieferungen per Schiff. Der Verkauf von ungefähr zwei Drittel des weltweiten LNG erfolgt über solche Langfristverträge.
Schwellenländer werden überboten: Wer mehr bezahlt, bekommt das LNG
Für das restliche Drittel gibt es einen Markt, auf dem LNG auch kurzfristig gehandelt wird. Auf diesem Kurzfristmarkt sind viele Länder aktiv. Am Kurzfristmarkt erhält derjenige das Gas, der am meisten dafür bezahlt. Verkäufer von Flüssiggas schicken ihre LNG-Tanker dorthin, wo sie beim Verkauf den höchsten Profit erzielen. Das macht es für die Importeure schwer, denn sie können sich nie sicher sein, dass sie das bestellte LNG auch wirklich erhalten. Sobald ein anderes Land mehr Geld für die Ladung eines Tankers bietet, kann der Reeder dieses einfach umleiten.
Wenn dazu ein Land wie Deutschland plötzlich sehr viel LNG zu nahezu jedem Preis kauft, ist für alle anderen auch weniger übrig. Die riesigen Mengen, die Europa in kürzester Zeit auf dem Weltmarkt eingekauft hat, haben damit nicht nur das Angebot für alle anderen reduziert, sondern auch massiv die Preise steigen lassen. Das führte letztendlich dazu, dass sich ärmere Länder das Gas einfach nicht mehr leisten konnten.
Icis-Daten zeigen, welche Staaten am meisten betroffen waren
Die Icis-Daten zeigen jetzt, welche Länder starke Importrückgänge gegenüber den Vorjahren verzeichnet haben. Betroffen waren in erster Linie die Schwellenländer. So importierte Indien im vergangenen Jahr rund vier Millionen Tonnen LNG weniger. Das sind rund 17 Prozent weniger als im Vorjahr. In Indien wird das Gas auch zur Herstellung von Düngemittel benötigt.
In Brasilien ist der Import von Flüssiggas sogar um 72 Prozent gesunken. Brasilien kaufte gut 5,5 Millionen Tonnen weniger LNG als im Jahr 2021.
Auch in Pakistan kamen im Jahr 2022 gut 1,4 Millionen Tonnen weniger LNG an als im Vorjahr. Dies entspricht einem Rückgang von 18 Prozent. In Pakistan gab es allerdings im Sommer 2022 eine Überschwemmungskatastrophe, durch die auch einen Großteil der Wirtschaft zum Erliegen kam.
Einen besonders drastischen Importrückgang gab es in China. Dort ging der Import von Flüssiggas um rund 16 Millionen Tonnen beziehungsweise 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Ein Teil davon dürfte allerdings auch auf die wirtschaftlichen Einbußen des Landes im Zuge der Null-Covid-Politik zurückzuführen sein. Aufgrund der Sondereffekte dürfte die Nachfrage nach Flüssiggas in China und Pakistan im Jahr 2023 wieder deutlich steigen.
Andere Länder wie Japan und Südkorea haben mit dem Preisanstieg für Flüssiggas ihren Verbrauch reduziert. So holte Japan einige seiner abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz zurück und ersetzte damit mehrere Gaskraftwerke. Südkorea will im Jahr 2023 voraussichtlich 14 Prozent weniger LNG importieren. Um dies zu erreichen, will das Land zu Kohle- und Kernkraftwerken zurückkehren.
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