Energiewende in Deutschland: Eine Zwischenbilanz nach einem Jahr unter Minister Habeck

Vor einem Jahr brachte Robert Habeck einen Stapel großformatiger Tafeln voller Kurven und Säulengrafiken mit, als er seine „Eröffnungsbilanz“ zum Stand der Energiewende in Deutschland in der Bundespressekonferenz vorstellte. Er kündigte an, dass bis 2030 80 Prozent des deutlich höheren Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt sein sollen, statt bislang nur etwa die Hälfte. (faz, 29.01.2023). Eine Zwischenbilanz zeigt, dass Habecks Ziele noch weit entfernt sind.


Im Januar 2023 bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass die Zukunft allein erneuerbaren Energien gehört. Er sagte, dass es für jeden von uns kristallklar ist.

Die Bundesregierung schaltet den „Energiewende-Turbo“ – eine Zwischenbilanz

Die Regierung hat nicht nur geredet, sondern auch angepackt, um den großen Umbau der Stromwirtschaft voranzubringen: Es gab ein „Osterpaket“ und ein „Sommerpaket“ mit neuen Gesetzen, um den Ausbau von Wind- und Solarenergie zu beschleunigen. Außerdem wurde das Bundesnaturschutzgesetz reformiert, um die Energiewende zu unterstützen. Es gibt jetzt das „Windenergie-auf-See-Gesetz“ und im Februar folgt das „Windenergie-an-Land-Gesetz“. Ursprünglich hatte Habeck angekündigt, dass es für den Sommer 2020 ein „Beschleunigungspaket“ für die Windkraft geben würde, aber das wurde verschoben.

Die Bundesregierung schaltet den "Energiewende-Turbo" - Lesen Sie hier eine Zwischenbilanz - Sogar Ökostrom-Industrie ist unzufrieden
Energiewende in Deutschland: Eine Zwischenbilanz nach einem Jahr unter Minister Habeck

Es ist ein Jahr nach der Einführung der Energiewende durch den Minister vergangen. Jetzt ist es an der Zeit eine Zwischenbilanz zu ziehen. Mit Hilfe der neuen Gesetze, die den Ausbau der erneuerbaren Energien angekurbelt haben, sind die gesteckten Ziele erreichbar? Schafft es Deutschland, den Energiewende-Turbo zu schalten? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat bei einigen Unternehmen nachgefragt und die folgenden Antworten erhalten.(faz, 29.01.2023)

Siemens Gamesa und IBC Solar sind sich einig, dass Deutschland vor „industriepolitisch extremen Herausforderungen“ steht, wenn es um den Bau von Meeres-Windparks in der Nord- und Ostsee geht. Der Deutschland-Chef von Siemens Gamesa, Martin Gerhardt, erklärte, dass es an Fabriken, Hafenanlagen, Schiffen und Fachkräften fehlt. Udo Möhrstedt, Chef des fränkischen Projektentwicklers IBC Solar, fordert, dass die Initiativen der Bundesregierung „massiv verbessert werden“ müssen, um die Herausforderungen zu meistern.


Der weltgrößte Windradhersteller Vestas aus Dänemark ist beeindruckt von der Energie, die die Bundesregierung in die Energiewende steckt. Trotzdem bestehen Zweifel, ob Deutschland seine ambitionierten Ziele im Bereich der Windenergie an Land und auf See bis zum Jahr 2030 erreichen wird.

Es gibt von anderen Unternehmen Lob für Habeck. Stefan Dohler, der Leiter des Energieversorgers EWE aus Oldenburg, sagt, dass Habeck einen deutlichen Willen zum Abbau bestehender Hindernisse zeige. Der größte deutsche Stromerzeuger RWE begrüßt es ausdrücklich, dass Habeck trotz zahlreicher Schwierigkeiten hohe Ziele für den Bau von Windparks auf See setzt. Ende 2022 hat RWE seinen neuen Meereswindpark Kaskasi vor Helgoland in Betrieb genommen, 2021 hingegen ist in deutschen Gewässern kein einziger neuer Windpark fertig geworden.

Habecks Pläne, die Leistung der deutschen Ökostrom-Industrie bis 2030 zu verdoppeln

Nach den Plänen von Habeck möchte die Industrie bis Ende des Jahrzehnts eine große Leistung erbringen. Laut einer Grafik soll die Gesamtleistung aller Windturbinen bis 2030 verdoppelt werden. Um dies zu erreichen, müssen bis zum Ende des Jahrzehnts jeden Tag 5,8 neue Windräder in Deutschland gebaut werden, laut dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln (EWI). In der Photovoltaik und der Offshore-Windkraft soll die Gesamtleistung bis 2030 sogar mehr als dreimal höher sein als jetzt.

Die Ökostrom-Unternehmen kämpfen mit drei ernsthaften Problemen: Es mangelt an Bauflächen, die Genehmigungsverfahren dauern lange und finanziell wird es bedingt durch steigende Kosten und Zinsen schwierig. Dem Energiekonzern Vattenfall zufolge wird es zu „massiven Preiserhöhungen“ für Fundamente, Kabeln und natürlich Windturbinen kommen. Derzeit verzeichnen die meisten europäischen Hersteller von Windkraftanlagen operative Verluste, was es ihnen erschwert, die benötigten Mittel für den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten aufzubringen.


Windkraft in Deutschland: Baulandmangel und Bürokratie erschweren den Ausbau

In Bayern, dem größten Bundesland, können nur sehr wenige Windräder gebaut werden. Auch in Baden-Württemberg, dem Nachbarland mit grüner Regierung, ist die Situation kaum besser. Der Mangel an Bauland macht es den Unternehmen schwer, Windräder und Solarparks zu errichten.

In Zukunft möchte die Bundesregierung, dass alle Bundesländer 2 Prozent ihrer Landesfläche als Bauland für Windräder ausweisen. Bislang waren es im Schnitt nur 0,8 Prozent. Allerdings muss diese Ausweitung erst bis 2032 erfolgen. Der EWE-Chef Dohler findet dies zu spät und meint, dass die 2-Prozent-Vorgabe schon 2025 eingehalten werden müsste, wenn die Windkraft-Ausbauziele erreicht werden sollen. Auch andere Unternehmen sehen das so.

Die Bürokratie stellt die Branche vor ein großes Problem. Trotz des Beschleunigungsgesetzes von Habecks, sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren immer noch schlimm. Udo Möhrstedt von IBC Solar beklagt diesen Zustand. Aktuell sind in Deutschland etwa 2300 Windkraftanlagen in der Genehmigungsphase stecken. Michael Class von ENBW sagt, dass dies ein viel zu langer Zeitraum ist. Er vergleicht die Situation mit den Niederlanden, in denen es schneller geht.


Länder und Kommunen müssen den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben

Die Regierung in Berlin versucht, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Laut EWE-Chef Dohler sind diese Beschleunigungen bisher jedoch kaum spürbar. Er und Nordex-Manager Brüggemann warnen davor, dass es nun entscheidend sein wird, dass die Länder und Kommunen die Vorgaben des Bundes rasch umsetzen. Die Unternehmen fordern die Bundesländer und Kommunen daher auf, ihre Aufgaben zügig zu erledigen.

Die Entscheidung über die tausenden Ökostrom-Bauprojekte wird nicht in Berlin am Kabinettstisch getroffen, sondern in den Genehmigungsbehörden im ganzen Land. Leider fehlen dort viele tausend Mitarbeiter und das ist vielleicht Habecks bisher größtes Problem. Er kann seine Ausbauoffensive nicht allein durchsetzen, ohne dass Kommunen und Länder mitmachen.

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