Deutschland sieht sich mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert. Während die Zahlen in den letzten Jahren stetig sanken, steigen sie nun wieder an. Normalerweise bringt der Herbst einen Aufschwung am Arbeitsmarkt: Nach der Sommerpause melden viele Unternehmen offene Stellen und stellen vermehrt ein. Doch dieses Jahr bleibt die Herbstbelebung aus. Zwar sank die Zahl der Arbeitslosen im Oktober im Vergleich zum Vormonat geringfügig um 16.000 auf 2,791 Millionen, doch im Vergleich zum Vorjahr stieg die Arbeitslosenzahl um 183.000 Personen (zdf: 30.10.24)
Wirtschaft in der Krise
Seit zwei Jahren kämpft die deutsche Wirtschaft mit einem Abschwung, und die Auswirkungen zeigen sich nun auch am Arbeitsmarkt. Viele große Unternehmen, darunter Traditionsfirmen wie Thyssenkrupp, Miele und BASF, kündigen Stellenabbau an. Besonders alarmierend: Auch beim Autobauer VW stehen Tausende Arbeitsplätze auf der Kippe.
Die aktuelle Situation erinnert an die Nullerjahre, als Deutschland nach einer Phase des Nullwachstums und hohen Lohnnebenkosten unter einer hohen Arbeitslosenquote litt. Damals entschied die rot-grüne Regierung, mit der „Agenda 2010“ eine umfassende Reform durchzuführen, die langfristig erfolgreich war. Heute verlangen viele Experten erneut eine solche Reform, um den Herausforderungen des Arbeitsmarktes zu begegnen.
Rückgang bei den offenen Stellen
Arbeitsmarktexperten wie Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betonen, dass der gegenwärtige Anstieg der Arbeitslosigkeit zu erwarten war. Weber erklärt, dass der Abschwung seit Jahren anhalte und Unternehmen einem erhöhten Transformationsdruck ausgesetzt seien. Die Zahl der offenen Stellen sinkt stetig, da Unternehmen angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage vorsichtiger werden. Allein im Oktober gab es 60.000 weniger offene Stellen als im Vorjahr. Der Stellenaufbau findet derzeit hauptsächlich im öffentlichen Sektor statt, der jedoch von den Unternehmenssteuern abhängig ist. Gehen Aufträge und Gewinne zurück, schmelzen auch die Steuereinnahmen.
Ausbleibende Trendwende bei der Arbeitslosigkeit
Die Aussichten auf eine Trendwende bei der Arbeitslosigkeit bleiben getrübt. Industrie, Bau, Handel und Zeitarbeit sind rückläufig, wie Enzo Weber bestätigt. Auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben teilt diese Einschätzung. Es gebe zwar keinen flächendeckenden Stellenabbau, aber die Zeit stabiler Arbeitslosenzahlen scheint vorbei zu sein. Ein wesentlicher Grund für den bislang noch moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit ist die demografische Entwicklung. Viele Arbeitnehmer gehen in den Ruhestand, und es strömen weniger neue Arbeitskräfte auf den Markt als in den vergangenen Jahren. Doch ohne einen grundlegenden Aufschwung wird auch dieser Effekt den Arbeitsmarkt nicht dauerhaft stabilisieren.
Mangel an Aufbruchsstimmung und Innovation
Weber sieht einen Mangel an Aufbruchsstimmung, die nötig wäre, um einen wirtschaftlichen Umschwung zu erreichen. Zwar stehen etablierte Strukturen unter Druck, aber die Anzahl an Neugründungen und innovativen Geschäftsmodellen bleibt gering. Es fehlt an Dynamik und kreativen Ideen, die den Arbeitsmarkt stärken könnten. Das Potenzial für neue Arbeitsplätze ist da, wird aber nicht vollständig ausgeschöpft, da sich viele Unternehmen schwertun, rentable und zukunftsträchtige Modelle umzusetzen.
Dienstleistungssektor als Hoffnungsträger
Trotz der Herausforderungen gibt es Hoffnung im Dienstleistungssektor. Die Bundesbank berichtet, dass in den Bereichen Gesundheit, Sozialwesen, Bildung, Erziehung, Logistik und Finanzwesen weiterhin Personal gesucht wird. Diese Branchen wachsen stetig und bieten Stabilität am Arbeitsmarkt, während viele traditionelle Sektoren schwächeln.
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