Wie wird das Stromnetz stabilisiert?

In den letzten Artikeln haben wir mehrfach darauf hingewiesen, dass das Stromnetz instabil wird, weil zeitweise nicht genügend Regelenergie zur Verfügung steht. In diesem Artikel wollen wir genauer erklären wie ein Stromnetz stabilisiert wird.

Die Kraftwerke im europäischen Stromverbund produzieren Wechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hz.
Zur Deckung des Strombedarfs produzieren viele unterschiedliche Kraftwerktypen gleichzeitig Strom und speisen diesen in den europäischen Stromverbund ein. Wie wird das Stromnetz stabilisiert? In diesem Beitrag wollen wir den sehr komplexen Sachverhalt möglichst einfach erklären.
Zur Stromerzeugung sind die folgenden Kraftwerktypen beteiligt, die wie in einem Orchester über den Takt der Netzfrequenz, den Strom in das europäische Stromnetz einspeisen:

Stromproduktion nach Kraftwerktyp am 11. Januar 2021. Biogas- und Laufwasserkraftwerke in Grundlastkraftwerke enthalten. Datenbasis von der Bundesnetzagentur | SMARD.de**

Grundlastkraftwerke
Dazu gehören:
Braunkohlekraftwerke
Atomkraftwerke

Mittellastkraftwerke
Dazu gehören:
Steinkohlekraftwerke
Gas-Dampfkombikraftwerke

Spitzenlastkraftwerke
Dazu gehören
Gaskraftwerke
Pumpspeicherkraftwerke

Ökostromanlagen
Dazu gehören:
Windkraftanlagen
PV-Anlagen
Biogaskraftwerke Wasserkraftwerke

Wie arbeiten die verschiedenen Kraftwerktypen im Verbund zusammen ?

Die Grundlastkraftwerke

Die Grundlastkraftwerke laufen praktisch immer in ihrem optimalen Lastpunkt mit maximaler Leistungsabgabe. Jede Abweichung würde den Wirkungsgrad so verschlechtern, dass dies große Verluste bei der Stromerzeugung bedeuten würde. Die Grundlastwerke werden deshalb möglichst nicht netzlastabhängig geregelt. Da sie mit ihrer Kombination aus Turbine und Generator eine sehr große Drehmasse haben, sind sie auch die Taktgeber für die Netzfrequenz von genau 50 Hz. Alle anderen Kraftwerke müssen sich nach dieser Taktvorgabe richten.
Biogaskraftwerke und Wasserkraftwerke mit permanentem Durchfluss sind ebenfalls grundlastfähig, gehören aber aufgrund ihrer geringen Leistung in der Regel nicht zu den Taktgebern.


Die Mittellastkraftwerke

Die Mittellastkraftwerke decken einen großen Teil des Strombedarfs, der über der Grundlast liegt, ab. Diese Kraftwerke laufen aber nicht mit voller Leistung, sondern halten eine Lastreserve für die Schwankung zwischen Angebot und Nachfrage vor. Diese Reserve nennt man Regelenergie. Jedes Land im europäischen Stromverbund ist vertraglich verpflichtet, einen vorgegebenen Betrag an Regelenergie jederzeit zur Verfügung stellen zu können. Deutschland ist verpflichtet, jederzeit mindestens 3000 MW Regelenergie vorzuhalten. Um dies 3000MW Regelenergie jederzeit zur Verfügung stellen zu können, gilt die (n-1)-Regel. Diese Regel gibt vor, dass auch beim Ausfall eines der beteiligten Kraftwerke, z. B. durch einen technischen Defekt, immer noch 3000 MW Regelenergie zur Verfügung stehen.

Da im Stromverbund immer nur soviel Strom erzeugt werden kann, wie gerade verbraucht wird, gleichen diese Mittellastkraftwerke die entsprechende Differenz mit dieser Reserveleistung aus.
Da diese Kraftwerke bereits am Netz sind, kann die Lastanpassung im Bereich von wenigen Sekunden erfolgen.

Die Spitzenlastkraftwerke

Die Spitzenlastkraftwerke springen dann ein, wenn die Mittellastkraftwerke mit ihrer Regelreserve bestimmte Grenzen überschreiten. Spitzenlastkraftwerke können aus dem Stand hochgefahren werden, benötigen aber mehrere Minuten Zeit, um ihre Leistung zur Verfügung stellen zu können. Sobald die Leistung verfügbar ist, fahren die Mittellastkraftwerke ihre Regelenergie wieder zurück, um diese für eventuell weitere Lastspitzen zur Verfügung zu haben.

Ökostromanlagen

Die Ökostromanlagen sind bis auf Biogas-und Wasserkraftanlagen nicht grundlastfähig und können auch keine Regelenergie zum Lastausgleich zur Verfügung stellen. Die Anteile der Biogas und Wasserkraftwerke sind so gering, dass sie zur Stabilisierung nichts beitragen können, deshalb laufen sie immer mit voller Last. Windkraft- und Solaranlagen produzieren den Strom wetter- und tageszeitabhängig. Da diese Anlagen durch die EEG Verordnung Vorrang bei der Netzeinspeisung haben, erzeugen sie zusätzlich zur Stromnachfrage Schwankungen in der Stromversorgung. Zum Ausgleich von Schwankungen können sie selbst nicht beitragen. Das müssen dann ebenfalls die Mittellastkraftwerke übernehmen.

Wie wird das Stromnetz stabilisiert?

Das Maß für das Gleichgewicht zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung ist die Netzfrequenz. Diese ist im gesamten europäischen Netzverbund gleich. Die Netzfrequenz ist also die Regelgröße.

Was passiert bei Strommangel?

Steigt der Strombedarf im Netz über die gerade erzeugte Leistung an, erhöht sich die Last der Generatoren in den Kraftwerken. Die erhöhte Last zieht die Drehzahl der Turbinen nach unten. Der erhöhte Strombedarf wird dann zunächst durch die Rotationsenergie der Grundlastkraftwerke ausgeglichen, bis die Mittellastkraftwerke den Zusatzbedarf zur Verfügung gestellt haben. Bei noch höherem Bedarf springen dann zusätzlich auch noch die Spitzenlastkraftwerke an.

Was passiert bei Stromüberschuss?

Bei geringerer Nachfrage erhöht sich die Netzfrequenz, da die Generatoren durch den überschüssigen Strom zusätzlich angetrieben werden und sich dadurch die Drehzahl der Turbinen erhöht. Die Mittellastkraftwerke reduzieren dann die Stromerzeugung bis die Netzfrequenz wieder bei 50 Hz liegt. Diese können aber die Last nur bis zu ihrer unteren Betriebsgrenze reduzieren, deshalb kann es immer noch zu einer Stromüberproduktion kommen. Dann pumpen zunächst die Pumpspeicherwerke Wasser in ihre Staubecken. Reicht dies nicht aus muss der zu viel produzierte Strom ins Ausland exportiert werden. Da dies sehr schnell erfolgen muss, wird der Strom immer öfter zu Negativpreisen verkauft d.h. die Netzbetreibe bezahlen noch dafür dass der überschüssige Strom abgenommen wird.

Wie stark darf die Netzfrequenz abweichen ?

Die maximale Abweichung in der Netzfrequenz darf +/- 0,2 Hz betragen. Das sind gerade +/- 12 Umdrehungen in der Minute an den Turbinen. Das hört sich nicht nach viel an, kann aber an den Turbinen bzw. den Generatoren in den Kraftwerken bereits zu schweren Schäden führen. Überschreitet die Netzfrequenz die zulässige Toleranz, erfolgt eine automatisierte Zwangsabschaltung der Kraftwerke. Dies würde eine Kettenreaktion auslösen, welche unweigerlich in einen europaweiten Blackout endet.
Die aktuelle Netzfrequenz und die gerade eingesetzte Regelenergie kann man hier live verfolgen.


Können Ökokraftwerke das Stromnetz stabilisieren?

Wind- und Solarkraftwerke produzieren den Strom nach der aktuellen Wetterlage oder Tageszeit. Denn ohne Wind arbeitet kein Windkraftwerk und Solaranlagen produzieren keinen Strom wenn es dunkel ist. Diese Anlagen können nicht mehr Strom produzieren, als die aktuelle Bedingungen es gerade zulassen. Damit sind diese Anlagen aber auch nicht in der Lage zur Stabilisierung des Netzes abrufbare Regelenergie zur Verfügung zu stellen.

Wechselrichter orientieren sich an der aktuellen Netzfrequenz

Da diese Anlagen ihren Strom über Wechselrichter ins Netz einspeisen, erschweren sie die Regelung zusätzlich. Die Wechselrichter fragen die aktuelle Netzfrequenz ab und speisen den Strom genau mit diesem abgefragten Wert ein. Das tun sie auch dann, wenn bereits eine große Abweichung zum Sollwert vorliegt. Dies erschwert somit den regulierenden Mittel- und Spitzenkraftwerken das Einregeln des Sollwertes zusätzlich. Überschreitet die Netzfrequenz den oberen Grenzwert bei 50,2 Hz trennen sich die Windkraft-und Solaranlagen automatisch vom Netz. Das ist in den Wechselrichtern so programmiert. Trennen sich aber hunderte von Anlagen nahezu gleichzeitig wegen Stromüberproduktion vom Netz automatisiert ab, kann die Frequenz schlagartig nach unten durchtauchen. Deshalb schaltet der Netzbetreiber einzelne steuerbare Anlagen vorher ab. Die betroffenen Anlagenbetreiber erhalten dennoch eine Vergütung für den Strom, den sie in der Abschaltphase hätten erzeugen können.

Zugriff auf Einzelverbraucher über Smart-Meter erleichtert Stabilisierung

Um das gesamte Stromnetz vor einer drohenden Abschaltung schnell zu stabilisieren wäre es für die Netzbetreiber von großem Vorteil direkten Zugriff auf einzelne Verbrauchergruppen über einen intelligenten Stromzähler bzw. Smart-Meter zu bekommen. Durch Abschaltung oder Limitierung des Strombezugs einzelner Verbraucher könnte der Netzbetreiber bei Strommangel die aktuelle Last im Netz unmittelbar absenken. Durch ein automatisiertes Einschalten großer Verbraucher, wie z.B. Wärmepumpen- und Nachtspeicherheizungen, könnte der Netzbetreiber die Probleme bei Stromüberangebot besser regeln.

Kann ein Stromnetz aus 100% Ökostrom funktionieren?

Bis heute gibt es keine technische Lösung, um ein Stromnetz nur mit Ökostromanlagen stabil zu betreiben. Die entsprechende Regelenergie müssten in diesem Fall Biogasanlagen und Wasserkraftwerke zur Verfügung stellen. Hierzu wäre ein Ausbau der Biogas- und Laufwasserkraftwerke auf die Kapazitäten der in Zukunft abgeschalteten Atom- und Kohlekraftwerke erforderlich. Das ist jedoch völlig utopisch, denn alleine die Biogasanlagen würden mehr landwirtschaftlich genutzte Fläche benötigen als in Deutschland zur Verfügung steht. Bei Wasserkraft sind die in Deutschland zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bereits weitgehend ausgenutzt.

Alternativ wären theoretisch auch Batteriespeicher denkbar. Batteriespeicher in dieser Größenordnung sind aber weder technisch realisierbar noch wären sie in absehbarer Zeit bezahlbar.
Ein weiteres Problem bei den Wind- und Solarkraftwerken ist es, dass sie nicht „schwarzstartfähig“ sind. Dies bedeutet, dass diese Anlagen nicht in der Lage sind nach einem Stromausfall das Netz wieder aufzubauen. Diese Anlagen benötigen eine betriebsfähiges Netz mit Spannungs- und Frequenzwerten im stabilen Zustand um den produzierten Strom einspeisen zu können. Schwarzstartfähig sind bei den Ökokraftwerken lediglich die Wasser-und Biogasanlagen. Deren Leistung reicht aber bei weitem nicht aus gegen die Last eines komplett abgestürzten Stromnetzes den Netzbetrieb wieder herzustellen.

Ein Blackout ist absehbar

Es ist jetzt schon abzusehen, dass mit der Abschaltung weiterer Atom- und Kohlekraftwerke nicht mehr genug Regelenergie zur Verfügung stehen wird um das gesamte Stromnetz stabil betrieben zu können.
Am 08. und 10. Januar 2021 gab es jeweils einen Frequenzabfall im europäischen Stromnetz bei denen ein Blackout in letzter Sekunde gerade noch verhindert wurde.

Es ist keine Frage ob ein Blackout kommen wird, die Frage ist nur wann.

Lesen Sie auch:

Warum auf einen Blackout vorbereiten?
Was passiert bei einem Blackout?

**Quelle:
Bundesnetzagentur | SMARD.de, Marktdaten: Stromerzeugung – Realisierte Erzeugung, Abrufdatum: 12.01.2021, Datenlizenz: Lizenz CC BY 4.0

Zuletzt aktualisiert am Dezember 20, 2023 um 0:31 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
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