Im Dezember 2022 nahm die neue ICE-Trasse zwischen Wendlingen und Ulm den Betrieb auf. Sie sollte den Fernverkehr beschleunigen und den Güterverkehr entlasten. Doch mehr als zweieinhalb Jahre später zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Wegen einer zu hohen Steigung hat bislang nur ein einziger Güterzug die rund 60 Kilometer lange Strecke befahren. Statt eines Meilensteins im Bahnnetz offenbart sich ein milliardenschweres Planungsfiasko (focus: 24.04.25).
Steigung der Strecke als zentrales Problem
Ein Sprecher der Deutschen Bahn bestätigte gegenüber dem SWR: „Weitere Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haben bisher keine Leistungen bestellt.“ Ursache dafür ist die anspruchsvolle Steigung der Strecke. Reguläre, schwer beladene Güterzüge schaffen die Neigung nicht. Lediglich besonders leichte Züge mit maximal 1.000 Tonnen könnten die Trasse befahren, doch diese existieren in der Praxis kaum.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erklärte: „Diese leichten Güterzüge gibt es nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben.“ Schon in der Planungsphase sei bekannt gewesen, dass die Strecke im Bundestag „schön gerechnet“ wurde. Um die Förderkriterien zu erfüllen, ging die damalige Nutzen-Kosten-Rechnung von 17 Güterzügen täglich aus, eine Annahme, die sich als Illusion entpuppte.
Hoffnung ruht auf Stuttgart 21
Trotz der Fehlkalkulation bringt die Strecke Vorteile für den Nahverkehr. Fahrgäste profitieren von einem neuen Halt in Merklingen sowie einer besseren Anbindung der mittleren Alb. Dennoch bleibt die stark beanspruchte alte Strecke über die Geislinger Steige weiterhin in Betrieb, da die erhoffte Entlastung bislang ausbleibt.
Eine umfassende Verlagerung des Verkehrs soll erst nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 erfolgen. Der neue Hauptbahnhof in Stuttgart, dessen Eröffnung derzeit für Ende 2026 geplant ist, könnte theoretisch mehr Güterverkehr auf die neue Strecke bringen. Ob dies tatsächlich gelingt, bleibt angesichts der aktuellen Entwicklungen allerdings zweifelhaft.
Planungsfehler mit Ansage
Das Bundesverkehrsministerium kalkulierte in der Planung mit 16 täglichen Güterzügen. Diese optimistische Annahme diente vor allem dazu, die Wirtschaftlichkeit des Milliardenprojekts zu begründen. Kritiker sehen darin eine bewusste Fehleinschätzung, die den tatsächlichen Anforderungen nicht standhält.
In der Praxis fehlt es an geeigneten Zügen, sodass sich der Nutzen der Strecke bisher auf eine geringe Zeitersparnis für den Fernverkehr beschränkt. Fachleute betonen, dass selbst die alte Trasse über die Geislinger Steige noch ausreichende Kapazitäten bietet, was die Notwendigkeit der neuen Strecke zusätzlich infrage stellt.
Eine bittere Bilanz
Vier Milliarden Euro Investitionssumme führten zu einer Einsparung von lediglich 20 Minuten im Fernverkehr und zu genau einem einzigen Güterzug. Die einstigen Versprechungen, die Strecke werde das Bahnnetz revolutionieren, verblassen angesichts dieser harten Zahlen. Stuttgart 21 gilt als letzte Hoffnung, doch selbst bei erfolgreicher Inbetriebnahme bleibt ungewiss, ob die Neubaustrecke jemals die erwartete Bedeutung erreicht.
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