Die Diskussion um die finanzielle Belastung der Pflegeversicherung erreicht eine neue Ebene. Rentner sollen verstärkt mit eigenem Vermögen für Pflegekosten einstehen. Die private Krankenversicherung (PKV) setzt sich dafür ein, dass Betroffene ihre Ersparnisse einsetzen. Doch dieser Vorschlag stößt auf heftige Kritik. Besonders der Sozialverband äußert Bedenken (merkur: 27.10.24).
Aktuelle Entwicklungen und die Sichtweise des Gesundheitsministeriums
Anfang Oktober äußerte sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach zur angespannten Finanzlage der Pflegeversicherung. Obwohl er Insolvenzen dementierte, räumte er ein, dass die Einnahmen schwächeln und die Kosten steigen.
Experten warnen schon länger vor einer Unterfinanzierung, die in der Zukunft noch gravierender werden könnte. Lauterbach erklärte weiter: „Wir haben eine Schwäche bei den Einnahmen und hohe Ausgaben.“ Angesichts dieser Problematik stellt sich die Frage, wie die Pflegeversicherung finanziell gesichert bleiben kann, insbesondere auch in Bezug auf die Renten.
PKV-Gutachten: Eigenverantwortung der Rentner gefordert
In einem vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erstellten Gutachten betont die PKV, dass die Mehrheit der Rentner finanziell in der Lage sei, für Pflegekosten selbst aufzukommen. PKV-Verbandschef Thomas Brahm meint, dass „die große Mehrheit der Menschen die Pflegekosten im Alter eigenverantwortlich tragen“ könne. Die Ergebnisse des Gutachtens zeigen, dass rund 70 Prozent der älteren Haushalte in Deutschland die Kosten für eine mehrjährige stationäre Pflege tragen könnten, vor allem, weil das Nettovermögen dieser Haushalte durchschnittlich bei 320.000 Euro liegt. Dies umfasst auch Immobilienbesitz.
Ein Argument des Gutachtens lautet, dass Rentner monatliche Eigenanteile von 3.000 Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren aus eigenen Mitteln decken könnten. Aus Sicht der PKV sei es vertretbar, wenn private Haushalte auch ihr Vermögen für potenzielle Pflegekosten einsetzten, anstatt die Pflegeversicherung weiterhin über Zuschläge zu subventionieren. Diese Umstellung könnte zur Entlastung der Pflegeversicherung und zur Stabilisierung der Beitragssätze beitragen. Eine steigende Belastung der Beitragszahler würde zudem auch die Arbeitskosten in Deutschland weiter erhöhen.
Kritik und Forderungen des Sozialverbands
Der Sozialverband sieht die Position der PKV äußerst kritisch und fordert eine umfassende Reform des Pflegesystems. Die Vorsitzende des Sozialverbands, Michaela Engelmeier, äußerte ihre Sorge über die finanzielle Belastung, die durch die Pläne der PKV drohe. Die aktuelle Situation belaste bereits Millionen Pflegebedürftige und ihre Familien emotional und finanziell erheblich. Sie argumentiert, dass höhere Eigenanteile und steigende Beiträge „für viele nicht mehr tragbar“ seien.
Engelmeier plädiert daher für die Einführung einer „Bürgerversicherung“. Diese würde alle Bürger, einschließlich Beamter und Besserverdienender, in die Pflicht nehmen. Durch die Beteiligung weiterer Einkommensgruppen könnte die Pflegeversicherung auf eine breitere finanzielle Basis gestellt werden. Nach Meinung des Sozialverbands könnte ein solches System nicht nur Beitragserhöhungen abwenden, sondern möglicherweise sogar Beitragssenkungen ermöglichen.
Politische Diskussionen über eine Bürgerversicherung
Die Forderung nach einer Bürgerversicherung ist in der politischen Diskussion nicht neu. Politiker wie Sahra Wagenknecht und Die Linke sprechen sich seit Jahren für eine umfassende Rentenreform aus, die Beamte und Selbstständige mit einbezieht. Die Linke plädiert außerdem dafür, alle Renten einmalig um zehn Prozent zu erhöhen und eine Mindestrente von 1.250 Euro netto für Alleinstehende einzuführen.
Beamte sind bislang von Sozialabgaben befreit und zahlen weder in die Renten- noch in die Pflegekasse ein. Auch wenn sie für ihre Krankenversicherung selbst aufkommen müssen, bleibt dieser Kostenanteil relativ gering im Vergleich zu den Sozialabgaben der Angestellten.
Die Zukunft der Pflegeversicherung
Die Debatte um die Pflegefinanzierung zeigt deutlich, dass Reformen unausweichlich sind. Während die PKV die Verantwortung auf die Rentner verlagern möchte, setzt der Sozialverband auf ein solidarischeres Modell. Beide Positionen spiegeln die Komplexität wider, die im Pflegesystem und seiner Finanzierung besteht. Die Einführung einer Bürgerversicherung bleibt jedoch eine politische Entscheidung, die das Wohl der Pflegebedürftigen, aber auch die Stabilität des gesamten Systems beeinflussen wird.
Lesen Sie auch:
- Steuerentlastungen aufgefressen – Sozialabgaben steigen stärker als erwartet
- Soviel Rentner auf Sozialhilfe angewiesen wie noch nie
- Deutsche Rentner abgehängt: Rentenniveau im europäischen Vergleich alarmierend niedrig
- Deutsche Rentner abgehängt: Rentenniveau im europäischen Vergleich alarmierend niedrig