Kein Atomstrom mehr aus deutschen Steckdosen – was für ein Märchen

Nach der Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke meldeten Radio- und Fernseh-Nachrichten am darauffolgenden Tag sinngemäß: „ab heute kein Atomstrom mehr in Deutschland“. Eine sehr zweifelhafte Aussage, denn Deutschland importiert seit Jahren Atomstrom aus dem Ausland und wird dies auch weiterhin tun müssen, um die Stromversorgung zu sichern.


Ursprung des verbrauchten Stroms in Deutschland bleibt oft unklar

Wenn man herausfinden möchte, aus welchen Quellen der in Deutschland verbrauchte Strom stammt, wird man oft enttäuscht sein. Obwohl häufig Informationen über die in Deutschland produzierte Strommenge und deren Herkunft vorhanden sind, fehlt es oft an detaillierten Grafiken, die die Quellen des hierzulande verbrauchten Stroms zeigen.

Nach Abschaltung der Atomkraftwerke steigen Stromimporte wieder an, der größte Teil davon ist Atomstrom von unseren Nachbarstaaten
Nach Abschaltung der Atomkraftwerke steigen Stromimporte wieder an, der größte Teil davon ist Atomstrom von unseren Nachbarstaaten

Dies hat einen einfachen Grund: Niemand weiß es genau. Die Bundesnetzagentur hat nur Kenntnis darüber, aus welchen Ländern wir Strom importieren, jedoch nicht im Detail aus welchen Quellen dieser Strom stammt.

Deutschland strebt 80 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 an: Aktuelle Reformen und Fortschritte

Das Ziel für die Stromproduktion in Deutschland ist klar definiert: Bis 2030 sollen 80 Prozent des produzierten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammen.

Die Umsetzung dieses Ziels ist eine große Herausforderung und Ende März beschloss die Ampel-Regierung weitere Reformen, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehören schnellere Genehmigungsverfahren, die Vereinfachung der Ausweisung von Flächen für Windkraftprojekte sowie die Installation von Solaranlagen entlang von Autobahnen und Bahnstrecken. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will insbesondere den Ausbau der Windenergie „generalstabsmäßig“ vorantreiben.

Im Jahr 2022 stammten laut Statistischem Bundesamt 46,3 Prozent des hierzulande produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien. Im Jahr 2021 waren es noch 42,3 Prozent. Der Strommix schwankt saisonal sehr stark. Im Winterhalbjahr weht es deutlich stärker, während die Sonne im Sommer häufiger auf die Photovoltaik-Anlagen scheint. Im Jahresdurchschnitt tragen die Sonne mit 10,6 Prozent und die Windkraft mit 24,1 Prozent bei, der Rest stammt aus Biomasse und Wasserkraft.


Strommix in Deutschland: Kohle und Gas dominieren, kein Atomstrom mehr

Im Jahr 2022 kam die andere Hälfte des Stroms in Deutschland aus folgenden Quellen: Kohle (33,1 Prozent), Erdgas (11,4 Prozent), Sonstige (9,1 Prozent) und Kernenergie (6,4 Prozent). Vor 20 Jahren lag der Anteil der Kernenergie am Strommix noch bei über 30 Prozent. Seit der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke erzeugt Deutschland selbst keinen Atomstrom mehr. Den Anteil werden hauptsächlich weitere Kohlekraftwerke übernehmen müssen (NZZ: 13.04.23).

Zu Beginn der Heizperiode im Jahr 2022 waren besonders viele Kohlekraftwerke in Deutschland in Betrieb, da man die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren und Gas für den Winter sparen wollte. Aus diesem Grund nahm man notgedrungen die hohen CO₂-Emissionen der Kohlemeiler in Kauf. Hinzu kam, dass im Frühjahr 2022 vergleichsweise wenig Wind wehte, wodurch Schwankungen bei den erneuerbaren Energien durch Gas- und vor allem Kohlekraftwerke ausgeglichen werden mussten. Dadurch stieg der Anteil des Kohlestroms um gut acht Prozent.

Langsamer Fortschritt beim Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland und Probleme mit „Geisterstrom“ und Stromimporten

Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland kommt nicht so schnell voran, wie geplant und gefordert. Im Jahr 2022 lag der Ausbau von Onshore-Windkraftanlagen bei lediglich etwa 2,1 Gigawatt, obwohl eigentlich 3 Gigawatt geplant waren. Ab 2025 sollen es sogar 10 Gigawatt pro Jahr sein. Der Ausbau der Solarenergie kam 2022 immerhin 7,2 Gigawatt, etwas mehr als geplant. Ab 2026 sollen jährlich 22 Gigawatt dazukommen. Ein weiteres Problem ist der sogenannte „Geisterstrom“, bei dem große Mengen an Strom aus Windenergie ungenutzt bleiben, weil das Stromnetz sie nicht aufnehmen kann. 2021 blieben rund 5.800 Gigawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien ungenutzt, was etwa drei Prozent der gesamten Stromproduktion aus erneuerbaren Energien entspricht (Blackout-News: 10.02.23). Um das zu ändern, ist ein massiver Ausbau des Stromnetzes erforderlich.

Deutschland ist aufgrund langsamer Fortschritte beim Ausbau erneuerbarer Energien immer noch auf Stromimporte angewiesen ist. Die Menge, die 2022 importierten Stroms, entsprach etwa einem Zehntel der inländischen Produktion, die insgesamt um etwa dieselbe Menge zurückging. Frankreich war traditionell einer der wichtigsten Stromlieferanten für Deutschland, da praktisch alles aus Atomkraftwerken stammt. Da 2022 jedoch viele dieser Anlagen aufgrund technischer Probleme nicht voll ausgelastet waren, ging der Stromimport aus Frankreich um 62 Prozent zurück.


Nach Abschaltung der Atomkraftwerke steigen Stromimporte wieder an

Daher exportierte Deutschland im Jahr 2022 erstmals mehr Strom nach Frankreich als es importierte. Insgesamt wurden 76,3 Milliarden Kilowattstunden Strom ins Ausland geschickt, 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

Dieser Trend endete jedoch nach der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke. Während den ersten drei Monaten des Jahres 2023 hat Deutschland noch fast 9,4 Terawattstunden exportiert, doch in den drei Wochen nach der Abschaltung der Atomkraftwerke sind die deutschen Stromimporte auf mehr als eine Terawattstunde angestiegen. Diese Menge entspricht etwa 4 Prozent des Strombedarfs Deutschlands in den vergangenen Wochen und ist ungefähr der gleiche Anteil, den die Kernkraft zuvor ausgemacht hatte (Blackout-News: 07.05.23). Der allergrößte Teil des importierten Stroms dürfte aus den Atomkraftwerken unserer Nachbarstaaten stammen. Doch in der Bilanz wird dieser nur als Importstrom ohne Erzeugungsquelle ausgewiesen.

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