Der Ausbau erneuerbarer Energien aus Wind und Sonne verändert das Stromsystem erheblich. Wirtschaftsminister Robert Habeck plant umfassende Reformen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Doch diese Reformen sind nicht unproblematisch. Immer mehr Strom aus Wind und Sonne sowie der zunehmende Einsatz von Wärmepumpen und Elektroautos belasten das Stromsystem enorm. Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium hat ein Papier für ein neues „Strommarktdesign“ vorgelegt. Ziel ist ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem, bei dem die Nachfrage flexibel auf das Angebot reagieren soll (wiwo: 03.08.24).
Stromsystem im Wandel: Risiko Planwirtschaft
Deutschlands Stromsystem befindet sich mitten in einer umfassenden Modernisierung. Das Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, ist ambitioniert. Der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag er laut Branchenangaben bei 58 Prozent. Nun soll die Stromversorgung vollständig durch erneuerbare Energien erfolgen. Dies bedeutet eine massive Elektrifizierung der Energieversorgung in den Bereichen Wärme und Verkehr, um fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas endgültig abzulösen.
Doch das Papier spricht von einem neuen „Betriebssystem“, bei dem die Nachfrage dem Angebot folgen soll. Dies erinnert stark an Planwirtschaft und Mangelverwaltung. Bisher folgte die Stromerzeugung der Nachfrage. Nun sollen große Teile der Nachfrage, wie E-Mobilität oder industrielle Prozesse, ihren Verbrauch in Zeitfenster mit hohem Angebot an erneuerbaren Energien und niedrigen Preisen legen. Ein Elektroauto lädt beispielsweise mittags, wenn das PV-Stromangebot hoch ist und das Auto ohnehin steht, so der eher naive Ansatz, der einfach davon ausgeht, dass man dort, wo das Auto steht, auch laden kann.
Dunkelflauten: Ein System am Limit
Es gibt Zeiten, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint – sogenannte „Dunkelflauten“. Auch in diesen Zeiten muss die Stromversorgung sicher bleiben. Dazu ist ein Technologiemix geplant, um saisonale Schwankungen auszugleichen. Flexible Lasten wie Wärmepumpen oder Elektroautos sollen ihren Strombedarf dann verschieben. Speicher sollen kurzfristige Schwankungen ausgleichen. Doch ob das ausreicht und wie lange ist mehr als fraglich.
Die Regierung arbeitet an einer Strategie zum Bau neuer Gaskraftwerke als Back-ups. Diese sollen später mit Wasserstoff betrieben werden. Hier ist eine staatliche Förderung geplant, um Investitionen für Betreiber lohnend zu machen, doch die Investoren halten sich aufgrund vieler ungeklärter Fragen zurück.
Kapazitätsmechanismus: Unsicherheit für Verbraucher
Bis 2028 soll eine neue Säule des Stromsystems eingeführt werden: ein „Kapazitätsmechanismus“. Das Wirtschaftsministerium hat dazu verschiedene Modelle vorgestellt. Im Kern geht es darum, Anbieter dafür zu honorieren, steuerbare Kraftwerkskapazitäten bereitzustellen, auch wenn diese nur wenige Stunden im Jahr laufen. Ein wettbewerblicher Ansatz mit Pumpspeichern, Batteriespeichern, Bioenergieanlagen und Back-up-Kraftwerken soll den bisherigen Großhandelsmarkt ergänzen. Doch die Finanzierung dafür ist völlig offen – es droht nach der EEG-Umlage das nächste Milliardengrab.
Wie dieser Mechanismus genau aussehen soll, ist noch offen. Ein möglicher „zentraler Kapazitätsmarkt“ könnte den Bedarf an steuerbaren Kapazitäten durch Auktionen festlegen. Doch auch diese Kosten müssen letztendlich die Verbraucher tragen. Das Wirtschaftsministerium favorisiert daher eine Kombination mit einem „dezentralen Kapazitätsmarkt“. Versorgern wird die Verantwortung übertragen, ihre Stromlieferungen durch entsprechende Erzeugungskapazitäten abzusichern.
Flexibilität und Nutzung von Ökostrom: Wer trägt die Last?
Das Wirtschaftsministerium nennt vier Handlungsfelder zum Umbau des Stromsystems. Eine Reform der Förderung erneuerbarer Energien gehört dazu. Geplant ist eine Umstellung auf eine Investitionskostenförderung. Außerdem soll es mehr Flexibilität bei der Stromnutzung geben. Nutzer sollen ihr E-Auto laden, wenn viel Wind- und Sonnenstrom produziert wird und die Strompreise günstig sind. Verbraucher könnten durch niedrigere Netzentgelte belohnt werden.
Ziel ist es, „grünen“ Strom lokal besser zu nutzen und Anlagen bei drohenden Engpässen nicht abzuregeln. Maßnahmen zur Verhinderung von Überlastungen des Stromnetzes verursachen hohe Kosten. Der im Norden produzierte Windstrom muss in große Verbrauchszentren im Süden gelangen, wofür Tausende Kilometer neue Stromleitungen nötig sind. Voraussetzung für mehr Flexibilität im Stromsystem sind digitale Stromzähler, sogenannte „Smart Meter“. Ihr Einsatz soll beschleunigt werden. Doch bleibt fraglich, wer letztendlich die Last dieser umfassenden Reformen tragen wird. Die Verantwortung für die Netzstabilität von den Netzbetreibern an die Industrie und Verbraucher weiterzugeben, deutet auf ein System hin, das immer schwerer zu kontrollieren ist.
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