Gasembargo: Ökonom Tom Krebs warnt vor gigantischer Wirtschaftskrise

In Deutschland und Europa wird schon länger ein komplettes Rohstoffembargo gegen Russland diskutiert. Bei der Kohle sind sich alle EU-Staaten einig, doch beim Öl verlangen lediglich Ungarn und die Slowakei Übergangsfristen. Diese Rohstoffe lassen sich relativ einfach aus anderen Weltregionen beziehen. Vor einem Gasembargo allerdings warnt der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Tom Krebs (Universität Mannheim): Es könnte zumindest in Deutschland die größte Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges auslösen.


Berechnungen zu den Folgen eines Gasembargos

Es existieren zu den möglichen Folgen eines Gasembargos bereits verschiedene Berechnungen, welche aber zu mehr oder weniger dramatischen Schlüssen kommen. Dr. Tom Krebs hat sich ab Ende April 2022 über die Zahlen gebeugt und kommt zu dem Schluss: Wenn wir abrupt und komplett auf russisches Erdgas verzichten würden, bräche unsere Wirtschaft deutlich stärker als während der Finanzkrise 2008/2009 und der Coronakrise 2020/2021 ein.

Gasembargo: Ökonom Tom Krebs warnt vor gigantischer Wirtschaftskrise. Die sozialen Folgen hält der Ökonom für kaum beherrschbar.
Gasembargo: Ökonom Tom Krebs warnt vor gigantischer Wirtschaftskrise. Die sozialen Folgen hält der Ökonom für kaum beherrschbar.

Die sozialen Folgen hält der Ökonom für kaum beherrschbar. Frühere Berechnungen von Fachkollegen, die für diesen Fall lediglich eine Rezession von 3 – 4 % prognostizieren, stimmen nach seinen Untersuchungen allerdings nicht. Das Drama eines Gasausfalls aus Russland wäre vielmehr deutlich größer, weil die deutsche Industrie in weiten Teilen gelähmt würde. Prof. Krebs errechnet eine Rezession von mindestens 8 % (negatives Wirtschaftswachstum) binnen eines Jahres. Doch dabei bliebe es nicht. Die nach einem Gasembargo deutlich höheren Energiepreise würden den Konsum dazu noch schwer dämpfen, was die Rezession noch mehr vertiefen würde. Die nachfolgende Wirtschaftskrise dürfte keine Vorbilder in der Geschichte der Bundesrepublik haben.


Prof. Dr. Tom Krebs ist ein anerkannter Experte zu Arbeits-, Klima- und Energiefragen. Er widerspricht unter anderem den Ergebnissen eines Forscherteams um Rüdiger Bachmann und Moritz Schularick, das im März 2022 für den Fall eines westlichen Gasembargos gegen Putin in Deutschland lediglich einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 – 3,0 % prognostiziert hatte, was im günstigsten Fall zu einem stark gedämpften Aufschwung oder einem zeitweise stagnierenden Wachstum (0 %) führen würde, aber kaum zu einer ernsthaften Rezession. Diese Berechnung hatte allerdings seinerzeit einen politischen Beigeschmack: Offenkundig sollte sie eine wissenschaftliche Argumentation dafür liefern, dass man Putin mit allem sanktionieren könne, was zu Hand sei, also auch mit einem kompletten Rohstoffembargo.

Wachsender Pessimismus der letzten Wochen

Der Optimismus hielt nicht lange an. Alsbald rechnete Sebastian Dullien (Institut für Konjunkturforschung und Makroökonomie) vor, dass ein Gasembargo die deutsche Wirtschaft durchaus um 6 % schrumpfen lassen könne, was schon mehr wäre als in der Finanz- und der Coronakrise. Dieser Auffassung schlossen sich andere führenden Konjunkturinstitute an. Auf diese Expertise setzt die Studie von Prof. Krebs nun noch einen drauf. Sie wurde vom gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Institut finanziert, was nicht bedeutet, dass sie nicht seriös durchgeführt wurde.


Das Worst-Case-Szenario geht von einer Rezession im zweistelligen Bereich aus, nämlich -8 % Industriewachstum + -4 % Rückgang beim Konsum = -12 %. Einen zweistelligen Einbruch der Wirtschaft gab es in Westdeutschland nicht mehr seit 1945. Der Ökonom Prof. Krebs kann seine Befürchtungen sachlich gut begründen. Die ersten großen Betroffenen vom Gasembargo wären die Stahl- und die Glasindustrie. Nach deren Produktionsrückgang bis -einstellung würde anderen Herstellern das Material fehlen, sodass der Gasschock schließlich die ganze Wirtschaft erschüttern würde. Die Kette stellt Prof. Krebs in der Reihenfolge der Ausfälle so dar:

  1. Stahl-, Glas-, Chemie- und Papierindustrie
  2. Automobilhersteller
  3. Verpackungsindustrie
  4. Logistik
  5. Konsumgüterindustrie
  6. Lebensmittelindustrie
  7. Energieversorgung von Büroräumen, öffentlichen Einrichtungen und Gewerbebetrieben
  8. Energieversorgung der privaten Haushalte

Frühere Studien hätten die Zweitrundeneffekte deshalb nicht angemessen beziffert, weil die Berechnungen schwer und extreme Ereignisse wie ein exklusiver Gasversorger als plötzlicher Aggressor sehr selten seien. Doch Prof. Krebs hat unter anderem auch die Auswirkungen des Fukushima-Unfalls 2011 untersucht, die ein gutes Vorbild abgeben. Er warnt vor dem Embargo: Die schon durch zwei Coronajahre und andere Krisen gestresste Wirtschaft könne einen weiteren Schock kaum verkraften. Schlimmstenfalls würden soziale Unruhen drohen.

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