Mit einem Notgesetz übernahm die britische Regierung abrupt die Kontrolle über das letzte Werk für Primärstahl in Scunthorpe, denn die chinesische Eigentümerfirma Jingye hatte sämtliche Rohstoffbestellungen gestoppt. Das nährte den Verdacht, dass statt britischer Produktion künftig recycelter Stahl aus China mit britischem Label verkauft werden sollte – ein direkter Einfluss auf die industrielle Souveränität des Landes. Der konservative Abgeordnete Ian Duncan-Smith übte scharfe Kritik. Aus seiner Sicht diente der Kauf von British Steel nie der langfristigen Erhaltung . „Was sie von Anfang an wollten, ist chinesischen Stahl mit einem britischen Label versehen und es in Märkten verkaufen, zu denen sie sonst keinen Zugang haben“ (nzz: 22.04.25).
Einfluss Chinas auf kritische Branchen nimmt zu
Obwohl Chinas Botschaft die Vorwürfe als „absurd“ abtut, gerät das Engagement des Landes in britischen Schlüsselindustrien immer stärker ins Blickfeld. Auch die Labour-Regierung sprach Jingye ein ernsthaftes Interesse an der Rettung der Produktion ab. Emily Thornberry forderte, Investitionen aus China in Telekommunikation, Energie und Transport strenger zu prüfen. Der Geheimdienst müsse systematisch evaluieren, wo sicherheitspolitische Gefahren bestehen.

Im Energiesektor ist der Einfluss Chinas besonders spürbar. Die China Investment Corporation ist an Gas-, Wasser- und Stromnetzen sowie am Flughafen Heathrow beteiligt. In einigen Regionen des Landes befindet sich die gesamte Versorgung bereits unter chinesischer Kontrolle.
Großbritannien öffnete sich lange widerstandslos
Die „Sunday Times“ beziffert die direkten Investitionen des chinesischen Staats in Großbritannien auf etwa 45 Milliarden Pfund. Rechnet man alle Vermögenswerte chinesischer und Hongkonger Investoren hinzu, verdreifacht sich dieser Betrag. Damit zählt das Vereinigte Königreich zu den wichtigsten Zielen chinesischer Kapitalflüsse – nach den USA und Australien.
Technologien für Solarstrom oder Batteriespeicher stammen fast vollständig aus China. Zusätzlich bereiten Konsumgüter mit versteckten digitalen Schnittstellen Sorgen. Jüngst entfernte das Verteidigungsministerium chinesische E-Autos von allen Militärgeländen – aus Furcht vor Datenmissbrauch.
Luke de Pulford von der Inter-Parliamentary Alliance on China sieht ein strategisches Kalkül: Die Kommunistische Partei strebe globale Dominanz an. „Teil dieser Strategie ist die Unterwanderung der Infrastruktur anderer Länder, die mit China im Wettbewerb stehen.“
Politischer Kurswechsel mit wirtschaftlichem Preis
Das aktuelle Dilemma wurzelt in einem jahrelangen Richtungswechsel. 2015 sprach Premierminister David Cameron vom „Goldenen Zeitalter“ der Beziehungen mit China. Erst unter Boris Johnson rückten sicherheitspolitische Überlegungen wieder in den Vordergrund. Die Entwicklung in Hongkong und neue Verteidigungsbündnisse mit den USA und Australien belasteten das Verhältnis schwer.
Doch Labour kehrte zurück zur wirtschaftlichen Annäherung. Energieminister Ed Miliband schloss in Peking ein Abkommen über gemeinsame Projekte in der Windkraft und Energiespeicherung. Die Kombination aus Haushaltsdefiziten, Investitionsstau und Klimazielen verleiht Chinas Geld und Technologie auch heute noch großen Einfluss.
Starmer laviert zwischen Peking, Brüssel und Washington
Premierminister Keir Starmer präsentiert sich inzwischen als Bewahrer nationaler Interessen. Gleichzeitig bleibt er um gute Handelsbeziehungen bemüht. Seine Regierung denkt über neue Meldepflichten für bestimmte Investoren nach, doch ein klarer Bruch mit China scheint angesichts der wirtschaftlichen Lage unrealistisch.
Großbritannien steht am Scheideweg: Zwischen geopolitischer Selbstbehauptung und finanzieller Abhängigkeit wächst der Druck, klare Grenzen zu ziehen. Der chinesische Einfluss auf kritische Infrastrukturen lässt sich nicht mehr ignorieren – und verlangt nach entschlossener politischer Reaktion.
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