Die Kohlerechnung von Robert Habeck

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) befindet sich aktuell in einem Dilemma: Wegen der Energiekrise muss er Kohlekraftwerke aus der Reserve holen, wo doch die Grünen eigentlich dringend aus der klimaschädlichen Technologie aussteigen wollen. Er hat nun eine Rechnung aufgemacht, die er selbst euphemistisch als „doppelten Kohle-Kniff“ bezeichnet: Jetzt braucht Deutschland mehr Kohle, doch dafür wird Habeck den Ausstieg aus der Kohleverstromung etwas früher durchsetzen. Damit ließen sich dann wieder die ursprünglichen Klimaziele der Regierung erreichen. Eine brisante Studie legt indessen nahe, dass Habecks Kohlerechnung nicht aufgehen kann (finanzen100, 02.12.2022).


Schwierige Zeiten für Robert Habeck

Für den Wirtschaftsminister sind schwere Zeiten angebrochen, auf die er manchmal suboptimal reagierte: So verkündete er eine Gasumlage für die Verbraucher, die er wieder einkassieren musste, auch die Abschaltung von Atomkraftwerken stieß auf harsche Kritik. Bisweilen musste er sich mit einer wütenden Belegschaft in der Ölraffinerie Schwedt auseinandersetzen. Daher dürfte ihm ein Termin im Oktober wirkliche Freude gemacht haben: Gemeinsam mit seiner Parteifreundin Mona Neubaur, ihres Zeichens Wirtschaftsministerin in NRW, konnte er den vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleförderung im Rheinischen Revier verkünden. Dieser könnte nun schon ab 2030 erfolgen. Die ursprüngliche Planung hatte das Jahr 2038 als Enddatum vorgesehen. Auf diese Weise bleiben 280 Millionen Tonnen der klimaschädlichen Kohle im Boden. Das verkündeten Habeck und Neubaur stolz auf einer Pressekonferenz.

Aktuelle Studie widerspricht Habecks Kalkulation. Brisante Studie zeigt, dass Habecks Kohlerechnung nicht aufgehen kann
Aktuelle Studie widerspricht Habecks Kalkulation. Brisante Studie zeigt, dass Habecks Kohlerechnung nicht aufgehen kann

Habecks Kalkül mit der Kohle

Die medienwirksame Verkündung hatte einen handfesten kommunikatorischen Hintergrund: Habeck muss natürlich der Linie seiner Partei treu bleiben, dass es für das Klima kaum etwas Dringenderes gibt als den Ausstieg aus der Kohleverstromung (neben reduzierten Emissionen im Verkehr). Dass nun ein grüner Bundeswirtschaftsminister die Kohlekraftwerke aus der Reserve holt, ist für Bündnis 90/Die Grünen ein ideologischer GAU. Das sehr schnelle Comeback der deutschen Kohleindustrie dürfte nach vorsichtigen Schätzungen ~61 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich emittieren.

Wie gut ist da die Nachricht, dass in einem deutschen Kohlerevier der Ausstieg acht Jahre früher gelingt! Der von Habeck kommunizierte Deal lautet mithin: Wir müssen zwar kurzfristig mehr Kohle verstromen, doch langfristig wird es deutlich weniger Kohle. Die neutralisiert dann die Klimaschäden durch die gegenwärtigen energiepolitischen Notfallmaßnahmen. Das geht auch aus einem Gesetzesentwurf hervor, den der Bundestag vergangene Woche verabschiedete. Darin heißt es, dass einerseits der beschleunigte Braunkohleausstieg, andererseits die befristete Verlängerung von Kohlekraftwerklaufzeiten zusammen dem Klimaschutz und gleichzeitig der Energiesicherheit dienen.


Aktuelle Studie widerspricht der Kalkulation

Die Energieberatung Aurora Research hat nun eine neue Studie vorgelegt, die dieser Kalkulation widerspricht. Aus den Daten geht nämlich hervor, dass der vorgezogene Braunkohleausstieg für den Klimaschutz irrelevant ist. Der Hintergrund: Schon um das Jahr 2030 dürfte die Kohleverstromung unrentabel werden, weil der Markt zunehmend auf alternative, günstigere Energieformen – vorrangig erneuerbare Energien – setzt und zudem der staatlich festgesetzte CO₂-Preis immer weiter steigt. Die Marktkräfte und die staatliche Regulation der CO₂-Kosten werden damit ganz von allein den Kohleausstieg bewirken.

Zuerst hatte der „Spiegel“ über diese Studie berichtet. Im Detail nachgerechnet bedeutet das: Die jetzt wieder angefahrenen Kohlekraftwerke emittieren bis Anfang 2024 zusätzlich 61 Millionen Tonnen CO₂, doch die Ersparnis an CO₂ beträgt ab 2030 wahrscheinlich 0,0 Tonnen CO₂. Der Genauigkeit halber sollten die CO₂-Einsparungen durch die geringere Gasverstromung gegengerechnet werden. Diese dürften bei ~26 Millionen Tonnen CO₂ liegen. Selbst mit dieser genaueren Rechnung bleiben 35 Millionen Tonnen CO₂ durch das Wiederanfahren der Kohlekraftwerke übrig.

Verstoß Deutschlands gegen eigene Klimaschutzvorgaben

Die Untersuchung von Aurora legt noch mehr offen, nämlich einen klaren Gesetzesverstoß durch die Bundesregierung. Das deutsche Klimaschutzgesetz schreibt vor, die CO₂-Emissionen bis 2030 stetig zu vermindern. Das ist mit der zusätzlichen Kohleverstromung bis 2024 nun nicht mehr möglich. Die Emissionen werden steigen, was nach korrekter Interpretation der Gesetzeslage illegal ist. Allerdings gilt es zu bedenken, dass die genannte Studie sehr langfristige Voraussagen trifft, die mit Unsicherheiten behaftet sind. Das Thema ist insgesamt komplex, es sind mehrere Entwicklungen möglich.

Die Autoren der Studie mussten von einigen Grundannahmen ausgehen. Zu diesen gehört die genannte Aussage, dass die Kohleverstromung ab 2030 nicht mehr rentabel ist. Das muss so nicht kommen. Wenn aber nach 2030 noch weiter Kohlekraftwerke wirtschaftlich arbeiten könnten, wäre die Rechnung von Robert Habeck doch nicht so falsch. Die Bundesregierung stellt dementsprechend auch ganz andere Berechnungen vor, die unter anderem von einem stark steigenden Strombedarf im nächsten Jahrzehnt ausgehen. Daher bleibt abzuwarten, ob Habecks Kalkül realistisch oder nur Augenwischerei ist.

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