Die Illusion der Elektroauto-Ziele: Warum Deutschland seine Ambitionen verfehlt

Die Ampelkoalition in Berlin hat zu Beginn der Legislaturperiode ein klares Ziel gesetzt: „Wir wollen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen. Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen fahren.“ Dies steht im Koalitionsvertrag von Dezember 2021. Deutschland und seine Autobauer sollen bei der Umstellung von Diesel und Benzin auf ein Elektroauto vorne dabei sein. Das muss erreicht werden, damit wir unsere Klimaziele im Verkehrsbereich erreichen, so die Begründung (FAZ: 06.07.23).


Elektroauto-Ziel 2030: Bundesregierung hoffnungsvoll, Experten skeptisch – Wo steht Deutschland wirklich?

Nun, nach etwa anderthalb Jahren, haben wir in Deutschland etwa eine Million Elektroautos. Das sind nur 2 Prozent aller Autos und nicht einmal doppelt so viele wie über 30 Jahre alte Oldtimer mit H-Zulassung. Volkswagen stellt weniger Elektroautos her, weil die Leute weniger kaufen wollen. Trotzdem ist die Bundesregierung immer noch zuversichtlich. Sie glaubt, dass wir bis 2030 15 Millionen Elektroautos haben können. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagte Verkehrsminister Volker Wissing Ende Juni bei einer Konferenz über Elektromobilität in Berlin.

Elektroauto-Ziel 2030: Bundesregierung hoffnungsvoll, Experten mittlerweile skeptisch - Wo steht Deutschland wirklich?
Elektroauto-Ziel 2030: Bundesregierung hoffnungsvoll, Experten mittlerweile skeptisch – Wo steht Deutschland wirklich?

Viele Leute sind inzwischen nicht mehr so sicher. Im Vergleich zum Ziel der Bundesregierung sind viel zu wenig Elektroautos verkauft worden. „Mit der aktuellen Situation erreichen wir wahrscheinlich nicht die 15 Millionen und somit nicht unsere Klimaziele im Verkehr“, so Kerstin Andreae, die Leiterin des Energieversorger-Verbands BDEW. Die Energieunternehmen, die sie repräsentiert, spielen eine wichtige Rolle beim Aufbau der Ladestationen.

Der ADAC hat auch große Zweifel am Ziel der Bundesregierung: Wenn alles so bleibt wie jetzt, dann haben wir bis Ende des Jahrzehnts höchstens 10 Millionen Autos. Andere Experten denken, dass es bis dahin sogar nur 5 bis 7 Millionen Elektroautos geben könnte, das ist weniger als die Hälfte von dem, was die Regierung sich wünscht.


Elektroauto-Debatte entflammt: Wer trägt die Schuld an Deutschlands langsamer Umstellung?

Die Deutschen zögern anscheinend mehr als erwartet, ihre Benziner oder Dieselautos loszuwerden. Die Regierung muss handeln, fordert BDEW-Chefin Andreae. „Wir brauchen sofort einen klaren Plan, wie wir das Ziel von 15 Millionen erreichen können“, sagt sie.

Aber wo liegt das Problem? Wenn man fragt, warum so wenige Elektroautos verkauft werden, bekommt man viele verschiedene Antworten. Autobauer und Energieunternehmen geben einander die Schuld. „Hohe Ziele brauchen die passende Umgebung“, sagt Hildegard Müller, die Hauptvertreterin der deutschen Autoindustrie. Deutsche Autobauer planen, in den nächsten Jahren sehr viel Geld in die Entwicklung von Elektroautos zu stecken. Aber es gibt nicht genug Orte, um die neuen Hightech-Autos aufzuladen. „In Deutschland gibt es immer noch nicht genug Ladestationen, sodass jeder Mensch überall und jederzeit sein Auto aufladen kann“, sagt Müller.

Die großen Energieunternehmen wie ENBW, Eon und EWE haben die meisten öffentlichen Ladestationen. Sie sagen aber, dass die Autohersteller Schuld haben, dass es so langsam mit den Elektroautos vorangeht. „Die Leute wollen Elektroautos. Aber sie müssen oft zu lange auf die Lieferung warten und es gibt nicht genug günstige Modelle“, sagt BDEW-Chefin Andreae.

Elektroauto-Verkäufe in Deutschland: Ist der hohe Preis und die lange Wartezeit der Grund für den langsamen Umstieg?

Es gibt zwar Ausnahmen. Die rumänische Firma Dacia, die zu Renault gehört, verkauft ihr Elektroauto Spring für 23.000 Euro. Wenn man die Rabatte vom Staat und vom Hersteller abzieht, kostet das Auto nur noch ungefähr 16.000 Euro. Aber solche Modelle sind in Deutschland selten. Und viele beschweren sich über die lange Wartezeit. Die deutschen Autobauer lassen die Leute so lange auf ihre Elektroautos warten, dass es „an die Verteilung des Trabant in der DDR erinnert“, hat der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kürzlich in einem Interview gesagt.

Die Auswahl an Autos hat sich in die falsche Richtung entwickelt, sagt Helena Sophie Wisbert, die an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg über die Autoindustrie lehrt. Sie hat ausgerechnet, dass 2021 noch jedes fünfte verkaufte E-Auto in Deutschland ein kleines Auto war. Jetzt ist nur noch jedes 14. neue Elektroauto ein solches Einsteigermodell.

Gleichzeitig werden immer mehr teure und große SUVs mit Elektroantrieb verkauft. Mehr als jedes zweite E-Auto, das in Deutschland verkauft wird, ist momentan ein SUV. Diese Art von Auto ist bei den Elektroautofahrern sogar noch beliebter als auf dem Gesamtmarkt.


Elektroautos: Luxusgut statt Massenware? Warum preiswerte Modelle zur Seltenheit werden

In den letzten zwei Jahren ist das Elektroauto noch mehr zu einem Luxusgut für wohlhabende Leute geworden. Das ist genau das Gegenteil von dem, was passieren müsste, damit alle Leute Elektroautos fahren.

Nehmen wir Volkswagen als Beispiel: Der größte Autobauer in Europa bringt im Herbst den ID.7 heraus, eine geräumige Elektrolimousine. Das Auto kostet wahrscheinlich fast 60.000 Euro. Die kleineren Modelle ID.1 und ID.2 kommen aber erst in zwei bis drei Jahren.

Das hat natürlich Gründe. Die Batterien sind der teuerste Teil eines Elektroautos und bei kleinen Autos machen sie einen größeren Teil des Preises aus als bei teuren Autos. „Es ist momentan noch sehr schwierig, in Europa günstige Elektrokleinwagen herzustellen“, sagt die Autoexpertin Wisbert. Das günstige Auto Dacia Spring wird in China für den europäischen Markt hergestellt. Auch der neue Elektro-Smart von Mercedes kommt aus China.

Preisbarrieren und Regierungsentscheidungen: Gegen den Strom zur Elektromobilität

Wisbert glaubt, dass es ein Fehler ist, dass die Bundesregierung die Rabatte für Elektroautos dieses Jahr gesenkt hat und weiter senken möchte. „Die Hersteller könnten aufhören, kleine Autos herzustellen“, warnt sie. Ohne Rabatte wird es nicht gehen. Es dauert länger, die Herstellung von Elektroautos billiger zu machen, als man vor ein paar Jahren dachte. Experten schätzen, dass europäische Hersteller Elektroautos vielleicht erst am Ende des Jahrzehnts genauso günstig herstellen können wie Autos mit Verbrennungsmotor – wenn überhaupt.

Die Idee, dass viele Deutsche wegen der langen Wartezeiten auf Elektroautos lieber Autos mit Verbrennungsmotor fahren, scheint mittlerweile nicht mehr so wahrscheinlich. Da gibt es Fortschritte. Man muss sich nur mal die Lieferzeiten anschauen. Laut der Website des Online-Autohändlers Carwow muss man auf einen VW Golf mit Verbrennungsmotor acht bis neun Monate warten. Das vergleichbare Elektromodell ID.3 bekommt man dagegen schon nach zwei bis sechs Monaten. BMW liefert sein Elektro-Coupé i4 in drei bis fünf Monaten, genauso lange wie das vergleichbare Modell mit Verbrennungsmotor.


Die E-Auto-Revolution: Haben wir genug Ladestationen oder ist das Ziel von einer Million veraltet

Wie sieht es mit dem Netz von Ladestationen aus, das seit Jahren als Hindernis für Elektroautos angesehen wird? Deutschland hat ein ehrgeiziges offizielles Ziel für den Ausbau. 2019 erklärte die damalige schwarz-rote Regierung, dass bis 2030 eine Million öffentliche Ladestationen eingerichtet sein sollten. Die aktuelle Ampelregierung hat dieses Ziel in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen.

Laut Bundesnetzagentur gibt es momentan nur etwa 90.000 öffentliche Ladestationen. Und das Ziel von einer Million Ladestationen ist nun umstritten. Die Energiebranche sieht es als technisch veraltet an. Tatsächlich braucht man weniger Ladestationen als früher gedacht. Der Grund: Die Ladestationen können heute viel mehr leisten als noch vor ein paar Jahren.

„Lars Walch, der bei ENBW für Elektromobilität zuständig ist, sagt: „“Heute können wir mit einer Ladestation durchschnittlich zehnmal so viele Kunden bedienen wie früher.““ Selbst wenn es am Ende des Jahrzehnts doch 15 Millionen Elektroautos in Deutschland gibt, bräuchte man für diese Autos nur etwa 150.000 Schnellladestationen, rechnet er vor. Das Verkehrsministerium hält jedoch an dem Ziel von einer Million Ladestationen fest.

Eines ist aber klar: Bisher haben vor allem die Autofahrer ein Elektroauto, die zu Hause eine eigene Ladestation haben. In Deutschland gibt es rund 900.000 solcher privaten Ladestationen, also zehnmal mehr als öffentliche. Mehr als drei Viertel aller Ladevorgänge finden dort statt.

Nur 20 Prozent der Ladestationen sind in Gebrauch

Es scheint, dass es noch viele Möglichkeiten gibt: Nach einer Studie des Bundesverkehrsministeriums haben drei von vier Autobesitzern in Deutschland einen eigenen Parkplatz zu Hause. Daher könnten viele zusätzliche private Ladestationen installiert werden, was die Notwendigkeit öffentlicher Ladestationen verringern könnte. Diese Woche kündigte Verkehrsminister Wissing ein neues Programm zur Unterstützung privater Ladestationen mit Solarpanels auf dem Dach an.

Auf langen Fahrten, weit weg von ihrer eigenen Ladestation zu Hause, sind alle Elektroautofahrer auf ein gut ausgebautes Netz öffentlicher Ladestationen angewiesen. Es wird kräftig in den Ausbau dieses Netzes investiert. Laut Bundesnetzagentur gab es im April etwa 88.000 öffentliche Ladestationen in Deutschland – ein Anstieg von fast 50 Prozent in 15 Monaten. Das öffentliche Ladenetz ist in der Regel nicht überlastet: Tagsüber sind durchschnittlich nur 15 bis 20 Prozent der Ladestationen belegt.

„Es ist schwierig, große Ladestationen in dünn besiedelten Gebieten kostendeckend zu betreiben“, gibt der ENBW-Manager Walch zu. „Aber die Parkplätze von Supermärkten und anderen Einzelhändlern sind dort eine gute Alternative“, sagt er. Einzelhändler haben ein großes Interesse daran, ihre Geschäfte mit solchen Ladestationen attraktiver zu machen. Mit modernen Ladestationen kann man eine Autobatterie während eines 30-minütigen Einkaufs zu 80 Prozent aufladen.


Gibt es auch genügend Strom – Netzagentur droht mit Drosselung

Es gibt allerdings auch noch ein anderes Problem. Viele Menschen zweifeln mittlerweile daran, dass sie ihr Elektroauto auch immer laden können, selbst wenn sie eine eigene Ladestation haben. Deutschland plant Maßnahmen zur Drosselung der Stromzufuhr für Elektroautos und Wärmepumpen, wenn es zu Engpässen kommt. Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit der Energiewende in Deutschland, bei der die Elektrifizierung eine zentrale Rolle spielt. Insbesondere durch den verstärkten Einsatz von Wärmepumpen kommen die Stromnetze immer mehr an ihre Belastungsgrenzen. Aufgrund des erhöhten Strombedarfs durch Elektroautos und Wärmepumpen drohen zu bestimmten Tageszeiten Engpässe im Stromnetz. Um diesem Problem entgegenzuwirken, plant die Bundesnetzagentur den Netzbetreibern zu erlauben, die Stromzufuhr für steuerbare Verbrauchsgeräte wie Elektroautos und Wärmepumpen zu drosseln. Auch das hält viele Menschen von der Anschaffung eines Elektroautos ab. Schließlich will man sich nicht in der Mobilität einschränken lassen.

Zuletzt aktualisiert am Dezember 20, 2023 um 0:32 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
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