Das Hin und Her um den Atomausstieg

Wie bereits in unserem Artikel „Das Wirtschaftswunder bringt die Atomkraftwerke“ beschrieben, boomte der Ausbau der Atomkraftwerke in den 1970er Jahren. Nach den beiden Ölkrisen sollten die Atomkraftwerke mehr Unabhängigkeit von ausländischen Energieträgern garantieren. Deshalb waren im Jahr 1974 in Bundesrepublik Deutschland elf Kernkraftwerke in Betrieb, elf weitere im Bau und sechs in der bereits genehmigten Projektierungsphase. Der Ausbau wurde bis dahin allerdings immer noch mehrheitlich von der Bevölkerung getragen. Atomkraftwerke galten als moderne und saubere Form der Stromerzeugung. Der Atomausstieg hat eine lange Geschichte mit viel Hin und Her.


1975 gibt es erste Widerstände zum Bau eines Atomkraftwerks

Im Jahr 1975 stießen die Betreiber von Atomkraftwerken erstmals auf Widerstand aus der Bevölkerung. In Wyhl am Kaiserstuhl, sammelte eine Bürgerinitiative 90.000 Unterschriften und besetzte den Bauplatz für das geplante Kernkraftwerk acht Monate lang. Der Bau des Atomkraftwerks Wyhl wurde nach jahrelangen gerichtlichen Baustopps schließlich aufgegeben. „Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist dieses Land nicht mehr regierbar“, stellte der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Filbinger, dazu fest.

Das Hin und Her um den Atomausstieg. Merkel wirbt im Wahlkampf 2003 damit, Atomausstieg rückgängig zu machen.
Das Hin und Her um den Atomausstieg. Merkel wirbt im Wahlkampf 2003 damit, Atomausstieg rückgängig zu machen.
Bild: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Die Protestbewegung wird militant

Der Erfolg bei der Protestbewegung machte allerdings schnell Schule. Bereits ein Jahr später gab es im schleswig-holsteinischen Brokdorf ebenfalls massiven Widerstand. Die Atomindustrie war aber durch die Proteste in Wyhl vorgewarnt und hat das Gelände wie eine Festung sichern, lassen. Deshalb eskalierten die Demonstrationen in Brokdorf zu bürgerkriegsähnlichen Schlachten. Die Polizei ging dabei erstmals mit Hubschraubern, Wasserwerfern und Tränengas gegen tausende Protestierende vor. Darunter waren erstmals militante Gruppen, die mit Waffen und Wurfgeschossen die Polizisten attackierten. Die Proteste in Brokdorf waren der Beginn der bundesweiten Anti-AKW-Bewegung, aus der letztendlich die Partei der Grünen entstand.


Atomunfälle in Harrisburg und Tschernobyl schüren Angst in der Bevölkerung

Am 28. März 1979 ereignete sich in Harrisburg ein schwerer Atomunfall und am 26. April 1986 die Katastrophe von Tschernobyl.  Diese beiden Ereignisse führten zu immer größerer Angst in der Bevölkerung vor den Folgen der Kernenergie. Bei den Protesten zum Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf im Frühling 1986 gab es sogar mehrere Tote. Diese Ereignisse waren praktisch der Grund, dass das stark emotional aufgeladene Thema den weiteren Ausbau der Kernenergie ab Mitte der 80er-Jahre politisch unmöglich machte.

Castor Transporte lassen Protestbewegung wieder aufleben

Die Proteste keimten mit den Castortransporten im Jahr 1995 wieder auf. Dabei erlebte die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland ein Revival. Bereits sechs Monate vor dem ersten geplanten Transport wurde Demonstrationen und Straßenblockaden geplant. Dabei gab es auch radikale Aktionen, bei denen Schienenstücke aus den Gleisen herausgeschnitten wurden. Die Polizei sicherte den ersten Transport dabei mit 15.000 Sicherheitskräften. Dies war der bis dahin größte Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte.

1998 beschließt rot-grün den Atomausstieg

1998 kamen die Grünen in der rot-grünen Koalition erstmals auf Bundesebene an die Regierung. Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Schröder den Atomausstieg zum Jahr 2020 erstmals beschlossen. Der Ausstiegsbeschluss war zu diesem Zeitpunkt aber immer noch politisch und gesellschaftlich stark umstritten. Mit diesem Ausstiegsbeschluss wurden auch die Proteste weniger und wieder ruhiger.


Merkel wirbt im Wahlkampf damit, Atomausstieg rückgängig zu machen

Im Wahlkampf 2003 warb die CDU-Parteichefin Angela Merkel noch damit, den Atomausstieg wieder rückgängig zu machen. Sie warf dabei der rot grünen Bundesregierung vor, „ganze Märkte ins Ausland zu drängen. Ob Pharmaindustrie, Genforschung oder Kernenergie, viele Zukunftsbranchen werden aus Deutschland vergrault“. Dabei stellte sie die Frage, ob die Deutschen ihr Geld künftig ernsthaft alleine mit der „unrentablen Windenergie“ verdienen sollten.Im Jahr 2009 verlängerte die Regierung unter Merkel die Laufzeiten der Atomkraftwerke wieder. Im selben Jahr warb sie im Wahlkampf in NRW mit ihrem Koalitionspartner Westerwelle damit, den Atomausstieg rückgängig zu machen.


Nach Fukushima beschließt Merkel endgültiges Aus für deutsche Atomkraftwerke

Mit dem Atomunfall im japanischen Fukushima am 11. März 2011 änderte sie diese Vorhaben aber grundlegend und setzte die Verlängerung der Laufzeiten umgehend wieder aus. Am 6. Juni 2011 gingen die sieben ältesten Atomkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel sicherheitshalber für drei Monate vom Netz und wurden kurz danach dauerhaft stillgelegt. Heute produzieren nur noch drei deutsche Atomkraftwerke Strom. Auch diese stellen zum Jahresende 2022 die Stromproduktion endgültig ein. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem man wieder über die Unabhängigkeit ausländischer Energieträger diskutiert und vermehrt wieder Stimmen zur Verlängerung der Laufzeiten aufkommen. Die Ablehnung der Atomkraft ist in der deutschen Regierung inzwischen so weit verwurzelt, dass selbst über neue Technologien nicht mehr diskutiert wird. Das Ausland setzt bei der Energiewende vermehrt auf den Ausbau der Atomenergie und auch auf die neue Small Modular Reactor-Technologie (SMR). Dem deutschen Atomausstieg ist bis heute kaum ein Land gefolgt.

In unserer kurzen Reihe zur Geschichte der Stromerzeugung sind bisher folgende Artikel erschienen:

Wer hat den elektrischen Strom erfunden?
Die Anfänge der Elektrifizierung Deutschlands
Der Stromkrieg um Gleichstrom und Wechselstrom
Die Entstehung der Verbundnetze
Das Wirtschaftswunder bringt die Atomkraftwerke
Die Liberalisierung des Strommarkts

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