Wirtschaftsminister Habeck hat sich mit seiner Wasserstoffstrategie ambitionierte Ziele für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft gesetzt, doch die Realität hinkt den Versprechungen deutlich hinterher. Katherina Reiche, Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates (NWR), kritisiert im Gespräch mit Montel die stagnierende Entwicklung. Trotz weitreichender Ankündigungen liegen konkrete Investitionsentscheidungen für Elektrolysekapazitäten bisher weit unter den Erwartungen (montelnews: 21.10.24).
Globale Entwicklungen vs. deutschem Stillstand
Während weltweit mehr als 400 Projekte in der Wasserstoffwirtschaft mit rund 75 Milliarden US-Dollar gefördert werden, bleibt Deutschland mit seiner Wasserstoffstrategie weit hinter den eigenen Zielen zurück. Länder wie China und die USA zeigen, wie ein dynamischer Hochlauf gelingen kann, mit Kapazitäten von 1,1 GW grünem Wasserstoff in China und 4,6 Millionen Tonnen an geplantem blauen Wasserstoff in den USA. In Europa, und speziell in Deutschland, herrscht dagegen ein klares Umsetzungsvakuum: Von den für 2030 geplanten 10 Gigawatt (GW) Elektrolysekapazität sind nur 0,3 GW genehmigt.
Eine der größten Hürden sieht Reiche in den komplexen europäischen Vorschriften. Diese engen die Wasserstoffstrategie durch strikte Rahmenbedingungen für den Einsatz erneuerbarer Energien massiv ein, was die Attraktivität für Investoren schmälert. Die Regelungen zur „Additionalität“ und „Gleichzeitigkeit“ bei der Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen erschweren den Aufbau flexibler Produktionsstrukturen und treiben die Kosten in die Höhe. Der deutsche Markt bleibt für viele Investoren wenig attraktiv – trotz zahlreicher Ankündigungen fehlt eine wirkliche Dynamik.
Hohe Kosten, fehlende Wirtschaftlichkeit und zögerlicher Regulierungsrahmen
Die heimische Wasserstoffproduktion kämpft mit massiven wirtschaftlichen Herausforderungen. In Deutschland zählen die Strompreise zu den höchsten Europas. Die Produktionskosten für grünen Wasserstoff belaufen sich auf 8 bis 10 Euro pro Kilogramm, was kaum mit internationalen Kosten mithalten kann. So entsteht ein Spannungsfeld zwischen Anspruch und Realität: Während die Politik großflächig den Einsatz von Wasserstoff für Industrie, Mobilität und Energiesektoren ankündigt, fehlt es an wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die diese Vorhaben tragfähig machen.
Besonders auffällig ist das Missverhältnis zwischen Zielsetzungen und konkretem Handeln. Der Ausbau erneuerbarer Energien hinkt, vor allem bei Windkraft, den eigenen Zielvorgaben hinterher. Trotz des Planungsbeschleunigungsgesetzes und des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes lassen sich Großprojekte nicht über Nacht realisieren. Die Versprechungen wirken so oft mehr wie symbolische Politik statt eine realitätsnahe Strategie für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Ein Beispiel dafür ist der Rückzug Norwegens von der geplanten Wasserstoffpipeline nach Deutschland, da sich ohne langfristige Abnahmeverträge eine solche Infrastruktur nicht rentabel betreiben lässt.
Fehlende strategische Weichenstellungen und globale Marktchancen
Während Deutschland mit seiner Wasserstoffstrategie auf nationaler Ebene mit Vorschriften und hohen Kosten kämpft, nutzen andere Länder ihre Chancen flexibler und marktnäher. Besonders in den USA zeigt der Inflation Reduction Act (IRA), dass Technologieoffenheit und Marktorientierung klare Vorteile bieten. Der IRA fördert nicht eine spezifische Wasserstofftechnologie, sondern zielt auf die CO₂-Reduktion. Die Steuergutschriften für Wasserstoff sind technologieagnostisch, sodass Investoren und Unternehmen eigenständig die effizientesten Lösungen wählen können. Europa setzt hingegen auf strenge Regulierungen und hohe Standards, was die Marktdynamik bremst und Investitionen hemmt. So bleibt die deutsche Wasserstoffwirtschaft oft in bürokratischen Vorgaben stecken, während weltweit praktikable Lösungen voranschreiten.
Ein weiteres Problem sieht Reiche in den europäischen Beihilferichtlinien. Diese erlauben nur Investitionsförderungen, nicht jedoch die Unterstützung der laufenden Betriebskosten, was Investitionen unattraktiver macht. Für eine zukunftsfähige Wasserstoffwirtschaft fordert sie eine Reform dieser Richtlinien, um den Anschluss an die internationale Entwicklung nicht zu verlieren. Die neue EU-Kommission steht hier in der Verantwortung, will sie Europas Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wasserstoffmarkt stärken.
Wege aus der Stagnation: Flexibilität und klare Signale nötig
Um die deutsche Wasserstoffwirtschaft zu beleben, müssten die starren Vorgaben der Farbenlehre, die grünen Wasserstoff priorisieren, aufgeweicht werden. Ein pragmatischer Ansatz, der in den nächsten Jahren auch „blauen“ und „grauen“ Wasserstoff integriert, könnte Bewegung in die Entwicklung bringen. Nur eine flexible Herangehensweise ermöglicht es, breitere Investitionen anzuziehen und so eine stabile Nachfrage zu schaffen.
Zudem bleibt die Anbindung der gesamten Wertschöpfungskette wichtig. Der geplante Ausbau des Wasserstoffkernnetzes stellt einen ersten Schritt dar, doch diese Infrastruktur muss auch für den Mittelstand und regionale Energieversorger zugänglich sein. Nur so lässt sich eine flächendeckende Nachfrage schaffen, die das Wasserstoffnetz langfristig auslastet und wirtschaftlich macht. Dafür braucht es staatliche Unterstützung durch langfristige Abnahmeverträge und ein marktorientiertes Absicherungsinstrument, das die Preisunterschiede zwischen Erzeugern und Abnehmern ausgleicht.
Deutschland steht an einem Scheideweg: Es kann durch gezielte Förderungen, langfristige Preissignale und eine pragmatische Regulierung den Anschluss an den globalen Wasserstoffmarkt schaffen. Andernfalls drohen die ambitionierten Wasserstoffpläne als symbolische Ziele ohne reale Wirkung zu verblassen. Reiche warnt, dass ohne verlässliche politische Signale und wirtschaftliche Anreize wichtige Investoren und Partnerländer bald andere Märkte bevorzugen könnten.
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