Der rasante Ausbau der Photovoltaik in Deutschland stellt eine erhebliche Herausforderung für die Stromnetze dar. Allein im Jahr 2023 stieg die Zahl der angeschlossenen Photovoltaikanlagen um 30 Prozent auf 3,4 Millionen. Der Solar-Boom sorgt für wachsende Bedenken bei Netzbetreibern und Experten. Ein unkontrollierter Ausbau könnte zu instabilen Netzsituationen und lokalen Stromausfällen führen, warnt Maik Render, Geschäftsführer des Energieversorgers N-Ergie (handelsblatt: 30.07.24).
Solar-Boom droht Stromnetz in Süddeutschland zu überlasten
Besonders betroffen sind Regionen im Süden und Südwesten Deutschlands, wo die Zahl der Solaranlagen auf Privathäusern seit Jahren stark ansteigt.
Das Hauptproblem liegt nicht nur in der Menge neuer Anlagen, sondern auch in ihrer Technologie. Viele Systeme sind nicht in der Lage, bei Überproduktion automatisch abgeschaltet zu werden, was das Risiko von Netzüberlastungen und Stromausfällen erheblich erhöht. Diese fehlende Steuerbarkeit erschwert die Integration der Photovoltaikanlagen ins Netz.
Teurer Solar-Boom: Wie unkontrollierte Ökostrom-Einspeisung Milliarden kostet und das Stromnetz gefährdet
Die unkontrollierte Einspeisung von Strom führt auch zu einem weiteren Problem: der häufigen Überproduktion von Ökostrom. An Tagen mit besonders hoher Solarstromerzeugung übersteigt das Angebot die Nachfrage erheblich. Dies führt dazu, dass der überschüssige Strom oft zu Negativpreisen an der Börse verkauft wird oder sogar verschenkt werden muss. Im Jahr 2020 entstanden durch solche Negativpreise bzw. Netzengpässe Kosten in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr konnten 6,1 Mrd. kWh Strom aus erneuerbaren Energien nicht genutzt werden. Die Kosten dafür beliefen sich bereits auf 3,1 Milliarden gestiegen. Mit dem weiteren Ausbau der Solarenergie ist auch im Jahr 2024 mit einer drastischen Steigerung dieser Kosten zu rechnen. Aufkommen muss der Verbraucher, denn diese Kosten sind Bestandteil der Netzentgelte und werden somit auf den Strompreis umgelegt.
Um die Netzstabilität zu gewährleisten und die damit verbundenen Kosten zu minimieren, sind mehrere Maßnahmen notwendig. Der Einsatz von Batteriespeichern könnte helfen, überschüssigen Strom zu speichern und so die Netze zu entlasten. Regelbare Ortsnetztrafos, die allerdings teurer als herkömmliche Modelle sind, könnten ebenfalls eine Lösung darstellen. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) fordert daher regulatorische Anpassungen, um diese Technologien zu fördern. Intelligente Mess-Systeme, die die Steuerung von Photovoltaikanlagen ermöglichen, werden ebenfalls als notwendige Innovation angesehen. Die Bundesregierung plant, diese Systeme künftig in allen relevanten Neuanlagen zu installieren.
Finanzielle Belastung durch Ökostrom-Überproduktion
Das Problem der Überproduktion und der damit verbundenen Negativpreise hat auch eine finanzielle Dimension. Laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) entstehen durch die unkontrollierte Einspeisung erhebliche Kosten. Die Bundesregierung plant deshalb, die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für Neuanlagen ab einer bestimmten Größenklasse ab 2025 im Falle von negativen Strompreisen auszusetzen. Diese Maßnahme soll dazu beitragen, die Strommarktpreise zu stabilisieren und die Netzbelastung zu reduzieren.
Die derzeitigen Regelungen führen dazu, dass die Kosten für diese Überproduktion letztlich von den Verbrauchern getragen werden. Dies ist insbesondere in Zeiten, in denen die Energiepreise ohnehin hoch sind, eine zusätzliche Belastung. Der Berliner Energieökonom Lionel Hirth kritisiert, dass viele Erzeugungsanlagen nicht auf Marktpreise reagieren, weil sie technisch nicht dazu in der Lage sind oder durch garantierte Einspeisevergütungen geschützt sind.
Langfristige Perspektive und kurzfristige Risiken
Trotz dieser Maßnahmen wird es voraussichtlich einige Jahre dauern, bis sich die Situation vollständig entspannt. In der Zwischenzeit sind lokale Netzprobleme und finanzielle Belastungen nicht auszuschließen. Die Anpassung an die neuen Herausforderungen wird auch durch praktische Schwierigkeiten wie Lieferengpässe bei benötigten Technologien erschwert. So warten Verteilnetzbetreiber oft mehrere Jahre auf die Lieferung digitaler Ortsnetztrafos.
Der unkontrollierte Ausbau der Photovoltaik birgt also nicht nur Risiken für die Netzstabilität, sondern auch erhebliche finanzielle Belastungen für die Verbraucher. Es ist daher entscheidend, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Anpassung der Netz-Infrastruktur Hand in Hand gehen, um die Energiewende nachhaltig und kosteneffizient zu gestalten.
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