Die Schweizer Energiebehörde warnt: Im Winter könnte der Strom noch knapper sein. Deshalb müssen mehr Notkraftwerke eingerichtet werden. Es ist unklar, wie schnell sich erneuerbare Energiequellen entwickeln und wie stark die Stromnachfrage ansteigt. Aus diesem Grund empfiehlt die Eidgenössische Elektrizitätskommission, die Ersatzkapazitäten zur Vermeidung einer Stromknappheit für die Wintermonate zu erhöhen (aargauerzeitung: 28.07.23).
Stromknappheit in der Schweiz: Neue Berechnungen lösen Alarm aus
Letzten Herbst gab es in der Schweiz Sorgen um eine mögliche Stromknappheit (Blackout-News: 09.06.22). Es bestand die Befürchtung, dass der Schweiz im Winter Strom und Gas ausgehen könnten. Dies könnte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die französischen Atomkraftwerke aufgrund von Wartungsarbeiten nicht genug Strom liefern können. Oder es könnte sein, dass das Gas aufgrund des Kriegs in der Ukraine knapp ist. Trotz dieser Ängste hat die Schweiz den Winter gut überstanden, auch weil er eher mild war.
Die Schweiz hätte sich auf einen Stromausfall im Winter vorbereiten können. Seit letztem September hat sie neben den Wasserkraftreserven zusätzliche Reserven in Form von Notstromgruppen und Kraftwerken aufgebaut. Diese können von Anfang Dezember bis Ende Mai betriebsbereit sein und eine Leistung von 400 Megawatt erzielen.
Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) hat neue Berechnungen vorgelegt. Diese zeigen: Die aktuellen Reserven könnten bald nicht mehr genügen. Das steht in den am Freitag aktualisierten „Analysen zur mittel- und längerfristigen Stromversorgungssicherheit“. Hier hat Elcom die Zusammenhänge von Kraftwerksleistung, Stromverbrauch sowie Stromimport und -export analysiert. Das Ergebnis: In den nächsten Jahren können Engpässe nicht ausgeschlossen werden. Daher rät sie dem Bund, vorerst eine Reservekapazität von 400 Megawatt beizubehalten.
Mehr Notkraftwerke benötigt: Schweiz kämpft mit Unsicherheiten in der Stromversorgung
Für die Zukunft empfiehlt Elcom dem Bund sogar, die Winterreserven zur Vermeidung einer Stromknappheit deutlich zu verstärken. Unter der Voraussetzung, dass Atomkraftwerke in der Schweiz nach sechzig Betriebsjahren abgeschaltet werden, schlägt die Kommission vor, die Reservekapazität bis 2030 auf 700 bis 1400 Megawatt zu steigern. Der Grund dafür sind große Unsicherheiten bezüglich des Ausmaßes und vor allem der Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien sowie der Entwicklung der Stromnachfrage. Elcom ist der Ansicht, dass diese Art von „Versicherung“ für die Versorgungssicherheit der Schweiz erforderlich ist. Das bedeutet: Der Bund benötigt in der Zukunft mehr thermische Notkraftwerke, die mit Öl oder Gas betrieben sind.
Seit dem letzten Winter stehen dem Bund drei Notkraftwerke zur Verfügung. Darunter das Reservekraftwerk in Birr (AG) mit einer Kapazität von 250 Megawatt. Ein weiteres Reservekraftwerk in Cornaux (NE) und ein Gas-Kombikraftwerk in Monthey (VS) gehören dazu. Diese Reserven sind für die kommenden drei Winter verfügbar. Aber die Verträge mit den Kraftwerksbetreibern enden im Frühling 2026.
Um auch in den folgenden Jahren eine sichere Versorgung zu gewährleisten, hat der Bund am Freitag die erste Ausschreibung für die Zeit nach 2026 eingeleitet. Die Reservekraftwerke sollten zusammen eine Kapazität von 400 Megawatt liefern können. Laut einer Mitteilung des Bundesamtes für Energie können „Angebote für neue, bestehende oder stillgelegte Einrichtungen eingereicht werden“.
Kampf gegen den Strommangel: Notkraftwerke stoßen auf heftige Kritik von Klimaschützern
Das Bundesamt für Energie stützt sich bei der Berechnung der erforderlichen Reservekapazität auf Prognosen der Elcom. Daher ist es wahrscheinlich, dass der Bund bis 2030 weitere große Notkraftwerke, wie das in Birr, benötigt, um einen Strommangel im Winter zu verhindern. Dies führt zu Kritik. Die Klimastreikbewegung zum Beispiel hat angekündigt, sich „auf allen Ebenen gegen die geplanten fossilen Kraftwerke zu wehren, weil sie erheblich zur globalen Erwärmung beitragen.“
Klimaschützer machen auf den enormen Ölverbrauch der Notkraftwerke aufmerksam. Wenn zum Beispiel das Kraftwerk in Birr aktiviert werden müsste, würde es an einem Tag 1’680’000 Liter fossile Brennstoffe verbrauchen. Das entspricht dem Heizölverbrauch von mehr als 800 mittelgroßen Einfamilienhäusern in einem Jahr.
Neue Atomkraftwerke für die Schweiz? Politiker gespalten bei der Frage der Energieversorgung
GLP-Nationalrat Beat Flach findet es nicht ideal, dass bei einer Krise auf fossile Kraftwerke zurückgegriffen werden soll. Er betont, dass die Winter-Stromknappheit darauf zurückzuführen ist, dass die Schweiz den Ausbau erneuerbarer Energien nicht schnell genug vorangetrieben hat. Der Aargauer fordert: „Es ist an der Zeit, dass wir uns bewegen und sowohl in Wohngebieten als auch in alpinen Regionen deutlich mehr Photovoltaikanlagen installieren.“
SVP-Nationalrat Christian Imark sieht die Situation anders: „Wir haben bereits bei der Abstimmung über die Energiepolitik 2050 gewarnt, dass genau diese Situation eintreten könnte.“ Imark glaubt, dass die Schweiz ihre eigene Stromproduktion zu lange und zu stark vernachlässigt hat. „Daher muss die Winterstromproduktion im Inland so schnell wie möglich verstärkt werden.“ Um dies zu erreichen, soll die Betriebsdauer der bestehenden Atomkraftwerke verlängert werden. „Darüber hinaus“, fügt der Solothurner hinzu, „muss die Schweiz auch über neue Atomkraftwerke nachdenken.“
.