Österreich erhält weiterhin russisches Gas, vermutlich genauso viel wie vor dem Konflikt in der Ukraine. Das könnte eventuell auf eine Vereinbarung aus dem Jahr 2018 zurückzuführen sein (Merkur: 18.07.23).
Österreichs Balanceakt: Neutralität im Ukrainekrieg versus Gasimport aus Russland
In der Sache um den Krieg in der Ukraine zeigt Österreich eine zurückhaltende Haltung. In Wien herrscht die Ansicht, dass Neutralität gegenüber den kriegsführenden Nationen das oberste Gebot ist. Karl Nehammer, der österreichische Bundeskanzler von der ÖVP, ist der einzige Führer eines EU-Landes, der seit Beginn der russischen Invasion sowohl den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, in Kiew besucht hat, als auch den Kreml-Anführer, Wladimir Putin, in Moskau.
In Bezug auf den Import von Rohstoffen aus Russland, scheint Österreich allerdings weit von einer zurückhaltenden Haltung entfernt zu sein. Laut Euronews bezieht das Land jetzt wieder in der gleichen Menge Gas aus Russland wie vor dem Krieg. Damit stellt es einen bedeutenden Wirtschaftspartner für Russland dar.
Österreichs Gasbezug aus Russland: Der Anteil am gesamten Import hat sich wieder erheblich erhöht.
Nach offiziellen Daten des Klima- und Umweltschutzministeriums, das Leonore Gewessler (Grüne) leitet, machte das russische Gas im Februar 2022 – dem Monat, in dem der Krieg begann – 79 Prozent der gesamten Importmenge aus. Im nächsten Monat kletterte dieser Anteil auf 81 Prozent, fiel dann aber stark ab. Im Oktober 2022 kam nur noch 17 Prozent des importierten Gases aus Russland, im September 2022 waren es 21 Prozent, aber absolut noch weniger, weil in diesem Monat insgesamt weniger Gas eingeführt ist.
Der Anteil stieg im März 2023 wieder auf 74 Prozent, den höchsten Wert für dieses Jahr. Für April 2023 sind 64 Prozent gemeldet, und im Mai 2023 sollen es 52 Prozent gewesen sein. Man sollte auch bedenken: Im Mai betrug die gesamte Gasimportmenge 82 Prozent des höchsten Werts aus dem Mai 2022. In den anderen Monaten dieses Jahres lag der Wert zwischen 48 und 63 Prozent. Der Trend bei der gesamten Importmenge geht also deutlich nach oben. Es ist offensichtlich, dass russisches Gas weiterhin eine wichtige Rolle spielt.
Österreich über Gasbezüge aus Russland: Anteil konnte erheblich gesenkt werden
Das Ministerium unter Gewessler teilt trotz der von der Regulierungsbehörde E-Control bereitgestellten Daten mit: Seit dem Kriegsbeginn „sind neue Wege für Importe gefunden worden, die den Anteil russischer Gasbezüge stark gesenkt haben. Der Anteil russischer Gasimporte konnte mittlerweile bedeutend verringert werden.“ Die Phase, in der die Gasbezüge aus Russland wieder zunahmen, erklärt das Ministerium so: „Der Anteil der verfügbaren Importe aus anderen Quellen ändert sich monatlich und hängt unter anderem von der Verbrauchslage unserer Nachbarländer ab (vor allem Deutschland und Italien). Zudem kann die Nutzung der Speicher in Österreich durch ausländische Firmen zu erhöhten Importen im Sommer und erhöhten Exporten im Winter führen.“ Mit anderen Worten: Nicht die gesamte Importmenge muss für den Verbrauch in Österreich gedacht sein.
Euronews begründet die österreichische Haltung in dem sich weiter zuspitzenden Ukrainekrieg auch mit der Geschichte des Landes. Wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Alliierten aufgeteilt wurde, so garantierte auch Österreich am Ende der Besatzung im Jahr 1955 seine dauerhafte Neutralität.
Österreich und der Gasvertrag mit Gazprom: Bis 2040 muss für Rohstoffe aus Russland gezahlt sein
Politische und wirtschaftliche Entscheidungen spielen auch eine Rolle. 2018 unterzeichneten der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV und sein russischer Partner Gazprom in Anwesenheit von Putin und dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen neuen Vertrag für Gaslieferungen bis 2040. Dieser Vertrag beinhaltet eine sogenannte Take-or-Pay-Klausel, wie der Standard berichtet. Diese Klausel verpflichtet Gazprom als Lieferant, eine bestimmte Menge zu liefern. Die OMV als Importeur muss jedoch auch zahlen, selbst wenn sie das Gas nicht benötigt.
Solche Klauseln sind „bei Energieträgern wie Erdgas, die durch Leitungen transportiert werden, üblich“. Doch es gab Kritik an der Höhe der Vorauszahlungen bei Nichtnutzung: Diese sollen weit über 90 Prozent liegen. Daher scheint es für die OMV sinnvoller, das russische Gas tatsächlich zu verwenden – denn Russland und damit Putin erhalten das Geld so oder so.
Schon damals erschien die lange Laufzeit des Vertrags fragwürdig. Der vorherige Vertrag soll ohnehin noch bis 2028 gültig gewesen sein. Der Zeitpunkt des neuen Deals war sorgfältig ausgewählt: 2018 feierten Gazprom und OMV ihr 50-jähriges Bestehen.
OMV und die Beziehung zu Putin: Der Konzernchef aus Deutschland erhält eine Auszeichnung vom Präsidenten
Rainer Seele leitete damals den österreichischen Konzern. Seele, geboren in Bremerhaven und zurückgetreten im August 2021, gilt als ein Verbündeter Putins. Laut einem Bericht der Presse soll Österreich sogar von einem befreundeten westlichen Geheimdienst vor Seeles Position bei der OMV gewarnt worden sein. Im Jahr des Gazprom-Deals erhielt Seele von Putin den „Orden der Freundschaft“. Zudem sponserte die OMV Zenit St. Petersburg, den Lieblingsfußballklub des russischen Präsidenten. Laut Standard kostete das Engagement die Österreicher über fünf Jahre 24 Millionen Euro.
Der Gasvertrag mit Gazprom kostet noch mehr. Allein im Jahr 2022 kaufte die OMV Gas aus Russland für 6,8 Milliarden Euro, wie auf der Hauptversammlung enthüllt wurde. Erst im Frühjahr hatte Nehammer auf Twitter klargemacht, dass Österreich bei dieser Zusammenarbeit die EU-Sanktionen einhalten würde. Es gab Gerüchte, dass Russland eine Zahlung in Rubel fordern würde, was der 50-Jährige als „Fake News“ zurückwies.
OMV trifft Vorbereitungen für Gasimporte: Neue Transportmöglichkeiten aus Deutschland und Italien festgelegt
Es könnte nötig sein, bald neue Wege zu finden, um das Gas tatsächlich importieren zu können. Gerhard Roiss, der vor Seele die OMV leitete, hat aus der Ukraine gehört, dass Kiew ab 2025 kein Gas mehr aus Russland durch sein Land nach Österreich transportieren möchte.
Das könnte ein Grund sein, warum die OMV zusätzliche europäische Gas-Transportmöglichkeiten aus Deutschland und Italien gesichert hat, so die Nachrichtenagentur Reuters. Der Konzern hat in der diesjährigen Jahresauktion das Recht für etwa 40 Terawattstunden (TWh) pro Jahr zwischen Oktober 2023 und September 2026 und für etwa 20 TWh pro Jahr von Oktober 2026 bis September 2028 erworben. 40 TWh könnten rund 45 Prozent des jährlichen Erdgasverbrauchs in Österreich abdecken.
Österreichs Bindung an Russland: OMV-Chef plant, Importe von Gazprom fortzusetzen
Der Standard schlägt vor, vor ein internationales Schiedsgericht zu gehen, um sich von Gazprom und Russland zu befreien. Dort könnte die OMV – eventuell zusammen mit anderen westlichen Energieunternehmen – versuchen, die Verträge aufzuheben. Aber das wäre „ein langwieriger und teurer Prozess“.
Der aktuelle OMV-Chef Alfred Stern scheint jedoch nicht die Absicht zu haben, die Zusammenarbeit zu beenden. Im Gespräch mit der Financial Times erklärte der 58-jährige: „Solange Gazprom liefert … nehmen wir diese Mengen von Gazprom.“ Und er fügte hinzu: „Als Industrieunternehmen müssen wir sicherstellen, dass wir diese Quellen nutzen, solange sie legal sind.“ Der Manager aus der Steiermark warnte auch davor, „dass das Ausschalten bestimmter Quellen auch zu Preiserhöhungen führen“ könnte.
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