Der japanische Autohersteller Nissan steht vor dem tiefgreifendsten Umbau seiner Geschichte. Konzernchef Ivan Espinosa plant ein drastisches Sanierungsprogramm. Ziel ist die Rückkehr in die Gewinnzone. Der Auslöser: ein operativer Reinverlust von rund 4,1 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2024. Es ist der zweithöchste Verlust in der Geschichte des Unternehmens. Nur ein Jahr rettete 1999 der Einstieg von Renault Nissan vor der Insolvenz (handelsblatt: 13.05.25).
Konzernumbau mit harten Einschnitten
Im Zentrum der neuen Strategie mit dem Titel „Re:Nissan“ steht die Schließung von sieben der 13 Produktionsstandorte. Damit sollen fast die Hälfte aller Werke weltweit geschlossen werden – ein beispielloser Schritt in der Konzerngeschichte. Selbst Werke in Japan stehen auf der Streichliste. Die weltweite Produktionskapazität sinkt dadurch bis 2027 von vier auf 2,5 Millionen Fahrzeuge. Parallel dazu erhöht sich die Zahl der gestrichenen Arbeitsplätze deutlich: Statt der bislang geplanten 9000 Jobs entfallen nun 20.000 Stellen – das entspricht rund 17 Prozent der gesamten Belegschaft.

Espinosa, der erst im April das Ruder übernommen hat, kündigte auf der Jahresbilanzkonferenz in Yokohama an: „Um unsere Zukunft zu sichern, müssen wir weiter und schneller voranschreiten.“ Mit dieser Ankündigung verband er die klare Botschaft an die Beschäftigten, dass kein Weg an tiefgreifenden Einschnitten vorbeiführt.
Chinas Rolle im neuen Lieferkettenkonzept
Zusätzlich zu den Werksschließungen plant Nissan eine drastische Kürzung der Zuliefererstruktur. Die Zahl der Zulieferer soll deutlich sinken, was Einsparungen in Höhe von rund drei Milliarden Euro ermöglichen soll. Bemerkenswert ist, dass der Konzern dabei stärker auf chinesische Lieferanten setzt. Damit verabschiedet sich Nissan von seiner bisherigen geopolitisch motivierten Strategie. Gerade in Zeiten zunehmender Spannungen zwischen China und westlichen Staaten markiert dieser Schritt eine radikale Kursänderung.
Diese Entscheidung basiert nicht nur auf wirtschaftlichen Zwängen, sondern auch auf der Erkenntnis, dass eine stärkere Integration chinesischer Produktionskapazitäten Kostenvorteile bietet, die für das Überleben des Unternehmens entscheidend sind.
Marktverwerfungen treffen Nissan besonders hart
Während auch andere Autobauer wie Volkswagen unter sinkenden Absatzzahlen in China, unter US-Strafzöllen und den immensen Investitionen in Elektromobilität leiden, spitzt sich die Lage bei Nissan dramatischer zu. Der weltweite Absatz schrumpfte um 2,8 Prozent auf 3,3 Millionen Fahrzeuge, der Umsatz stagnierte bei 12,6 Billionen Yen – umgerechnet 77 Milliarden Euro. Nur dank der Finanzsparte blieb ein minimaler Betriebsgewinn von 0,6 Prozent erhalten.
Anders als bei Wettbewerbern stellt sich bei Nissan nicht nur die Frage nach einem Strategiewechsel, sondern nach dem Fortbestand als eigenständiger Konzern. Die sinkenden Verkaufszahlen und die strukturellen Probleme machen eine schnelle und konsequente Neuausrichtung unvermeidlich.
Espinosas Tempo erhöht den Druck
Mit der Vorstellung des neuen Sanierungsprogramms hat Espinosa die Schlagzahl deutlich erhöht. Binnen weniger Monate nach Amtsantritt rückt er zentrale Problemfelder ins Zentrum der Strategie: überdimensionierte Produktionskapazitäten, ineffiziente Zulieferstrukturen und geopolitisch riskante Lieferketten.
Dabei setzt er bewusst auf Geschwindigkeit, um weiteren Substanzverlust zu verhindern. Sein Ansatz lässt keinen Zweifel daran, dass der Konzern vor einer entscheidenden Weggabelung steht: Entweder gelingt der radikale Neustart – oder Nissan verliert endgültig den Anschluss an die Weltspitze der Autoindustrie.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Espinosas harter Kurs trägt. Klar ist jedoch: Die Zeit der vorsichtigen Kurskorrekturen ist für Nissan vorbei. Nur ein tiefgreifender Umbau bietet noch eine Perspektive.
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