„Wien Energie“ ist der Stromversorger für die österreichische Hauptstadt und das umgebende Bundesland Wien. Er hat jetzt massive Finanzprobleme. Die Opposition und weitere Kreise fragen nach, wie es so weit kommen konnte. Das Thema schlägt in Österreich derzeit hohe Wellen (30.08.2022, Süddeutsche Zeitung).
Hat die Stadt Wien die Krise selbst verschuldet?
Die Wiener Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ wollen vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wissen, ob sich die Stadt bei extrem hohen Energiepreisen durch eigenes Verschulden in eine finanzielle Notlage gebracht hat. Außerdem steht die Frage im Raum, ob möglicherweise sogar die Energieversorgung der Stadt Wien gefährdet ist. Am 30. August war dann Ludwig nach tagelangem Schweigen vor die Presse getreten, um den mutmaßlichen Skandal zu bagatellisieren: Er sei ein „Nicht-Ereignis“, so Ludwig, die Stadtregierung habe „nichts zu verbergen“.
Im Kern geht es darum, dass Wien Energie, immerhin Versorger von zwei Millionen Industrie-, Gewerbe- und Privatkunden, die jetzt entdeckten ungewöhnlich hohen Belastungen wahrscheinlich nicht selbst bewältigen kann und daher den Bund um Hilfe bat. Der Konzern verwies dabei auf die enormen Preissprünge auf den Märkten für Gas und Strom. Um kommende Energiekäufe an den Handelsbörsen abzusichern, benötige man nun einen Zuschuss. Zunächst sollten es zwei Milliarden Euro sein, aus denen binnen weniger Tage bis zu zehn Milliarden Euro wurden. Der Bund solle einen finanziellen Schutzschild schaffen, den Unternehmen in Deutschland und der Schweiz schließlich auch bekämen.
Warum die späte Meldung der Schieflage bei Wien Energie?
Bundesfinanzminister Magnus Brunner von der ÖVP hatte nach einer ersten Krisensitzung irritiert berichtet, dass die Stadt Wien ungewöhnlich spät die dramatische Lage an den Bund gemeldet hatte. Es sei immerhin die Zahlungsunfähigkeit von Wien Energie zu befürchten. Im Verlauf der vergangenen Woche war dann scheibchenweise bekannt geworden, dass Wien Energie mit langfristigen Termingeschäften zur Preissicherung spekuliert hatte. Experten sind der Auffassung, dass das Unternehmen dabei schwer kalkulierbare Risiken eingegangen ist.
Es wurde von den exorbitant steigenden Strom- und Gaspreisen überrascht und konnte am Ende die sogenannten Margins für die Terminkontrakte nicht mehr zahlen. Unternehmens- und Stadtvertreter wiesen allerdings die Vorwürfe zurück. Man habe nicht unverhältnismäßig spekuliert, Terminkontrakte zur Preissicherung seien üblich. Die Stadt Wien produziert selbst keinen Strom und kauft ihn daher komplett an den Börsen ein. Hierfür seien nun einmal Kautionen zu zahlen, welche Futures (Geschäfte für die Zukunft) absichern. Deren Preise seien unerwartet mit dem aus dem Ruder gelaufenen Markt explodiert.
Finanzgebaren der Stadt Wien und des Unternehmens Wien Energie
Der Finanzbedarf von Wien Energie übersteigt offenbar die Möglichkeiten der Stadt Wien. Dennoch hat Bürgermeister Ludwig im Rahmen einer Notverordnung Sicherheiten für Wien Energie in Höhe von 1,4 Milliarden bereitgestellt. Dieses Geld genügt nun nicht mehr. Als nun am 30. August die Preise wieder leicht nachgegeben hatten, kommunizierte der Finanzstadtrat Peter Hanke eine erleichterte Entwarnung: Vielleicht benötige man doch nicht so viel Geld. Dennoch wolle man bei der Bundesfinanzierungsagentur den Schutzschirm über zwei Milliarden Euro beantragen, falls die Preise wieder steigen und damit das Finanzloch wieder vergrößern.
Dieses Hin und Her bewog nun die Opposition, sich das Finanzgebaren der Stadtoberen und des Unternehmens Wien Energie etwas näher anzuschauen. Dabei stellte sich heraus, dass der Konzern, dessen Bilanzsumme nur drei Milliarden Euro beträgt, möglicherweise mit Termingeschäften auf fallende Strompreise spekuliert und sich damit fast in die Pleite manövriert hat. Diese Spekulationen dürften schon 2021 begonnen haben. Der russische Angriffskrieg und die nachfolgende europäische Energiekrise machten dann frühere Preisprognosen zunichte.
Kritik von fast allen Parteien
Bis auf die SPÖ kritisieren alle bedeutenden Parteien den Vorgang scharf. Im österreichischen Bund regiert derzeit eine türkis-grüne Koalition, in Wien regieren die Neos mit, die FPÖ steht hier wie auch im Bund in der Opposition. Vertreter dieser Parteien äußerten massive Kritik an der Kommunikation der Stadt Wien. Sie habe damit fahrlässig agiert. Am 30. August schließlich teilte der österreichische Bundesrechnungshof mit, dass er die Sache prüfen werde.
Diese Ankündigung konterte Bürgermeister Ludwig damit, dass er seinerseits ebenfalls prüfen lassen werde. Der ÖVP-Kandidat Anton Mattle, derzeit im Wahlkampf für das Amt des Tiroler Landeshauptmanns unterwegs, ließ umgehend wissen, dass Tirol nicht für die Fehler anderer Energieversorger zahlen werde. Bundesumweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) teilte mit, dass es solche Probleme nur bei Wien Energie, nicht aber bei anderen österreichischen Energieversorgern gebe.