Gasabkommen zwischen der EU und Aserbaidschan steht

Am 18. Juli 2022 hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Baku mit Aserbaidschan ein Gasabkommen unterzeichnet. Das Ziel besteht nach Aussage der Kommissionspräsidentin darin, sich zuverlässigeren Energielieferanten zuzuwenden (zdf, 18.07.2022)


Absichtserklärung mit Präsident Ilham Aliyev

Die EU erhält jetzt schon Gas aus Aserbaidschan. Dessen Menge soll nun verdoppelt werden, wie es in der unterzeichneten Absichtserklärung heißt. Damit könnte sich die EU wiederum unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen, auf die sie spätestens ab 2027 vollständig verzichten will. Das Abkommen mit Aserbaidschan ist ein Baustein auf diesem Weg, allerdings nur ein kleiner. Aserbaidschan schickt sein Gas über einen südlichen Gaskorridor in die Europäische Union. Derzeit sind es jährlich 8,1 Milliarden Kubikmeter. Diese Menge soll sich jetzt in den nächsten fünf Jahren sukzessive mehr als verdoppeln. 2023 sollen es 12 Milliarden Kubikmeter sein, im 2027 sollen dann jährlich 20 Milliarden Kubikmeter Gas in die EU strömen.

Gasabkommen zwischen der EU und Aserbaidschan steht. Aserbaidschan soll jährlich  20 Milliarden Kubikmeter Gas bis 2027  in die EU liefern
Gasabkommen zwischen der EU und Aserbaidschan steht. Aserbaidschan soll jährlich 20 Milliarden Kubikmeter Gas bis 2027 in die EU liefern
Bild: Volodymyr Zelenskyy und Ilham Aliyev President.gov.ua, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

Zum Vergleich: Die russischen Gaslieferungen in die gesamte EU betrugen vor dem Krieg mehr als 200 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Allerdings hat das Gasabkommen zwischen der EU und Aserbaidschan eine hohe symbolische Bedeutung. Das Land ist traditionell eng an Russland gebunden und möchte den großen Nachbarn nicht verärgern. Es versucht sich jedoch schon länger am politischen Spagat, gleichzeitig gute bilaterale Beziehungen zu westlichen Ländern zu unterhalten. Das aserbaidschanische Ziel besteht darin, ohne Konflikt mit Russland eigenständiger zu werden. EU-Staaten helfen dem Land dabei und verfolgen wiederum das Ziel, durch eine Energiepartnerschaft mit Aserbaidschan ihre Abhängigkeit von russischer Energie zu reduzieren. Dementsprechend würdigte Ursula von der Leyen in Baku das „neue Kapitel der Energiekooperation“ zwischen der EU und Aserbaidschan.


Fokus auf Energiesicherheit

Die enge Kooperation mit autoritären Regimen (neben Aserbaidschan beispielsweise auch Katar) zugunsten einer höheren Energiesicherheit ist in der EU nicht unumstritten, erscheint aber aktuell alternativlos. Dementsprechend betonte von der Leyen, dass die Frage der Energiesicherheit heute absolute Priorität genieße. Sie sei wichtiger denn je, so die Kommissionspräsidentin. Man müsse Lieferanten wie Aserbaidschan finden, mit denen eine langfristige, zuverlässige und vorhersehbare Zusammenarbeit möglich sei. Diese soll sich nicht allein auf Gaslieferungen beschränken. Auch bei den erneuerbaren Energien wollen die Vertragspartner künftig enger zusammenarbeiten. Aserbaidschan wird laut von der Leyen in diesem Sektor ein „enormes Potenzial“ zugeschrieben. Das Land mit einer Küste zum Kaspischen Meer ist bereits in der Offshore-Windenergie stark engagiert und kann grünen Wasserstoff liefern. Damit könne es neben der europäischen Versorgungssicherheit auch zur Klimaneutralität beitragen, so von der Leyen.

Wie zuverlässig ist Aserbaidschan?

Das Land ist eine autoritär geführte frühere Sowjetrepublik. Nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre gab es eine sehr kurze Phase der Demokratisierung, doch seit 1992 haben autoritäre Präsidenten die Macht an sich gerissen. Gleichzeitig ist das Land durch Korruption unterminiert. Im Demokratieindex des Economist wird Aserbaidschan unter den autoritären Regimen gelistet. Im November 1995 gab sich der Staat zwar eine neue Verfassung, die ihn als rechtsstaatliche, demokratische und weltliche Republik kennzeichnet. Es soll Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive herrschen, die Gerichte sollen verfassungsgemäß unabhängig wirken können. Das Parlament (Milli Məclis = Nationalversammlung) bestimmt offiziell über die aserbaidschanische Gesetzgebung.

Es wird für fünf, der Präsident hingegen für sieben Jahre gewählt, wobei bis 2009 seine Macht auf zwei Amtszeiten beschränkt war. Jedoch ließ der Präsident İlham Aliyev dessen Ehefrau Mehriban Aliyev die Vize­präsidentin ist, diese Beschränkung per Verfassungsreferendum abschaffen. Praktisch wird Aserbaidschan schon seit den frühen 2000er Jahren von der Familiendynastie der Familie Aliyev regiert. Der Vater des gegenwärtigen Präsidenten Heydər Aliyev hatte sich vor über zwei Jahrzehnten an die Macht geputscht und diese kurz vor seinem Tod im Jahr 2003 an seinen Sohn übergeben. Wichtig zu wissen: Heydər Aliyev war ein alter Sowjetkader. Die Familie vertritt ähnliche Positionen wie Putin und seine Getreuen in Russland, die ebenfalls dem sowjetischen Staatsapparat entstammen.


Was ist das Gasabkommen mit Aserbaidschan wert?

Dass in Aserbaidschan ein ähnliches, wenn nicht noch rigideres Regime wie in Russland herrscht, bedeutet nicht, dass die EU von dort kein Gas bekommt. Doch in politischer Hinsicht kann das Land kein echter Partner für westliche Demokratien sein. Das Konstrukt ähnelt der Partnerschaft mit Russland bis zum Kriegsausbruch und auch der gegenwärtigen mit China. Es muss als fragil gelten, zumal sich im Zuge des Krieges zwischen Russland und der Ukraine eine neue Blockbildung andeutet. In Kürze dürften die postsowjetischen autoritären Regime und China gegen den Westen zusammenrücken, was Handelsbeziehungen unterminieren wird. Jedes Abkommen mit solchen Staaten muss aus gegenwärtiger Sicht als Notnagel und Übergangslösung gelten.

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