Die Finanznot erreicht in Baden-Württemberg eine neue Dimension. 31 von 35 Landkreisen schreiben rote Zahlen, sechs verfügen über keinerlei Rücklagen mehr. Die Defizite steigen, während neue Schulden und massive Einschnitte drohen. Besonders der öffentliche Nahverkehr, soziale Angebote und Investitionen geraten ins Visier. Die Landesregierung steht unter Druck, noch in dieser Woche Lösungen zu präsentieren (swr: 15.07.25).
Tiefe Finanznot bringt Landkreise ans Limit
Die angespannte Haushaltslage führt bei vielen Kommunen zu drastischen Maßnahmen. Der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, sieht die Kreise am „Kipppunkt“. Ohne sofortige Hilfe drohe ein „Niedergang ohnegleichen“. In der Geschichte Baden-Württembergs habe es eine solche Finanznot noch nie gegeben. Sollte keine Unterstützung folgen, geraten die Grundpfeiler der kommunalen Selbstverwaltung ins Wanken.

Am Freitag findet ein weiteres Krisentreffen mit der Landesregierung statt. Dabei steht zur Debatte, welchen Anteil die Kommunen am Sondervermögen des Bundes erhalten. Eine Milliarde Euro fließt jährlich nach Baden-Württemberg. Schleswig-Holstein könnte mit seinem kommunalfreundlichen Verteilschlüssel zum Vorbild werden.
Nahverkehr und soziale Leistungen in Gefahr
Wegen fehlender Rücklagen drohen harte Einschnitte im Öffentlichen Personennahverkehr. Für viele Kreise stellt dieser Bereich die einzige nennenswerte freiwillige Aufgabe dar. Auch Förderprogramme für Sport, Kultur und Jugendarbeit könnten schon bald gestrichen werden. Die finanziellen Spielräume schrumpfen.
Steigende Ausgaben im Sozialbereich verschärfen die Situation zusätzlich. Der Landkreistag kritisiert die mangelnde Kostenübernahme durch Land und Bund. Besonders teuer sind Eingliederungshilfe, Flüchtlingsversorgung sowie Zuschüsse für Kliniken und Nahverkehr. Wirtschaftliche Unsicherheiten belasten die Kommunen weiter.
Sechs Kreise besonders tief in der Krise
Main-Tauber-Kreis, Rems-Murr-Kreis, Calw, Freudenstadt, Rhein-Neckar-Kreis und Lörrach gelten als besonders stark betroffen. Hier fehlt nicht nur Geld, sondern jeglicher Handlungsspielraum. Walter fordert deshalb eine Verdreifachung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer. Im Jahr 2023 lagen die Einnahmen bei 1,1 Milliarden Euro. Eine Anhebung auf 3,3 Milliarden Euro jährlich soll die kommunalen Haushalte stabilisieren.
Die Landesregierung reagierte im Mai mit einer Soforthilfe. Drei Milliarden Euro aus dem Kommunalen Finanzausgleich wurden früher als geplant ausgezahlt – eine Maßnahme, die lediglich Zeit verschafft. Eine langfristige Lösung bleibt weiterhin aus.
Gemeindetag warnt vor Systemversagen
Für Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, ist die Entwicklung symptomatisch. Das Defizit von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2024 wurde im ersten Quartal 2025 bereits um weitere 2,4 Milliarden ergänzt. Jäger spricht von einem Beleg für einen „akuten Systemfehler“. Die Zahlen lassen sich nicht länger als Warnsignal abtun.
Die Finanznot erfasst das Land flächendeckend. Ohne neue Finanzierungsmodelle, eine Umverteilung der Steuereinnahmen und Sofortmaßnahmen auf Landesebene droht eine Krise historischen Ausmaßes. Das bevorstehende Krisentreffen wird zeigen, ob die Landesregierung bereit ist, entschlossen gegenzusteuern – oder ob die Kommunen weiter ins finanzielle Chaos rutschen.
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