Die Energiekrise sorgt für eine Produktionsverlagerung in die USA

Die europäische Schwerindustrie hat ein paar düstere Monate hinter sich. Die himmelhohen Energiepreise und die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöste Treibstoffknappheit haben dazu geführt, dass fast 10 % der Rohstahlproduktion und die Hälfte der Produktion von Primäraluminium stillgelegt wurden. Die Düngemittelindustrie hat sich in letzter Zeit wieder auf die Hälfte ihrer Kapazität zurückgekämpft. Konzerne, wie der norwegische Düngerhersteller Yara, warnen davor, dass der Produktionsrückgang zu Nahrungsmittelengpässen führen wird (Financial Times, 02.11.2022). Die USA profitieren dabei durch die Verlagerung der Produktion europäischer Firmen.


Immerhin entspannt sich die Brennstoffkrise etwas. Doch die von ihr verursachten Einschränkungen werden die Entscheidungen der europäischen Unternehmen noch jahrelang belasten. Selbst wenn Unternehmen in grüne Energie investieren und die Energieeffizienz verbessern, überdenken einige auch ihren geografischen Fußabdruck.

Der deutsche Chemiekonzern BASF gab bekannt, dass er plant, seine Produktion in Europa „dauerhaft“ zu reduzieren. Zudem hat der Konzern ein neues Werk in China eröffnet. Die Verpackungskonzerne Smurfit Kappa und DS Smith importieren ab jetzt Papier aus Nordamerika (Financial Times, 26.10.2022).

Hauptsächlich die USA können die entstandenen Engpässe für sich nutzen

Die USA haben nun die seltene Gelegenheit, die entstandenen Lücken zu füllen. Pandemiebedingte Engpässe in Verbindung mit den Bemühungen um eine Verringerung der Kohlendioxidemissionen veranlassen die Führungskräfte der Unternehmen, weit entfernte Lieferanten in Niedrigkostenländern zu überdenken. Wachsende Spannungen zwischen China und dem Westen verändern ebenfalls die Planungen. Die deutschen Direktinvestitionen in China gingen während der Covid-Pandemie zurück und haben sich nicht erholt.

Die Energiekrise sorgt für eine Produktionsverlagerung in die USA
Die Energiekrise sorgt für eine Produktionsverlagerung in die USA

Bei der Entscheidung der Unternehmen, welche Anlagen zu modernisieren sind und wann es sinnvoll ist, woanders neu anzufangen, werden die Energiekosten eindeutig eine Rolle spielen. Und hier haben die USA einen entscheidenden Vorteil gegenüber Europa: Erdgas wird vor Ort geliefert, ist zuverlässig und durchweg billiger, auch wenn der Preisunterschied stark schwankte.

So entschied sich Shell 2016 für den Bau einer 6 Milliarden Dollar teuren petrochemischen Anlage in der Nähe von Pittsburgh (Pennsylvania), unter anderem wegen der Nähe zu Erdgasquellen. Der Energiekonzern mit Hauptsitz im Vereinigten Königreich hat den Bau gerade abgeschlossen. Zudem rechnet das Unternehmen damit, dass es dort bis Ende des Jahres mit der Kunststoffproduktion beginnen kann.

Der scheidende Vorstandsvorsitzende Ben van Beurden kommentierte dies so: „Teil einer Verlagerung auf den amerikanischen Kontinent, der jetzt und vielleicht auch in den kommenden Jahren strukturell vorteilhafter sein dürfte“.


USA als Standort hat sich für Unternehmen ausgezahlt

Wie viele andere europäische Unternehmen wählte auch Shell einen Standort in der Nähe potenzieller US-Kunden. Aber auch andere Unternehmen, die in die lokale Produktion für Amerikaner investiert haben, haben festgestellt, dass die USA eine gute Basis für den Export sein können. Als Mercedes in den 1990er Jahren ein Werk außerhalb von Tuscaloosa, Alabama, eröffnete, wollte es den US-Markt erschließen. Heute ist das Werk fünfmal so groß und stellt alle großen Geländewagen des deutschen Unternehmens her. Zudem werden davon zwei Drittel exportiert. Diese frühe Entscheidung für Alabama hat nach wie vor Bestand. Mercedes hat sich kürzlich dafür entschieden, seine elektrischen Geländewagen am selben Standort zu produzieren und eine lokale Batteriefabrik zu eröffnen, um sie zu beliefern.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Energiesektor für Unternehmen, die eine Expansion in die USA in Erwägung ziehen, heute ein Anziehungspunkt ist. In den 1970er und 1980er Jahren trugen die steigenden Energiekosten zum Rückgang der amerikanischen Stahlproduktion bei. Doch die Schieferrevolution hat die Dynamik verändert, und der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat einen Weckruf in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Versorgung ausgelöst.

„In 20 Jahren könnte sich das alles ausgleichen“, sagt Stephen Schork, ein Energieanalyst. „Aber es ist bekannt, dass das US-Erdgas das billigste der Welt ist. Und das wird auch noch eine Weile so bleiben.“


Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien in den USA bietet Unternehmen Zukunftssicherheit

In dem Maße, wie die Unternehmen ihren Kohlenstoff-Fußabdruck verringern, dürften die Preise für fossile Brennstoffe an Bedeutung verlieren. Mit dem kürzlich verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA) versuchen die USA jedoch, ihren Energievorsprung auszubauen. Enthusiasten glauben, dass die Wind- und Solarenergie der USA sowie grüner Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie erzeugt wird, auf dem besten Weg sind, zu den billigsten der Welt zu werden.

„Das IRA vergrößert die strategischen Vorteile, die die USA bereits haben, und ermöglicht es der Industrie, ein dominierender Energielieferant in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu werden“, schreiben die Analysten der Credit Suisse.

Wie wichtig die Energiepreise auch sein mögen, sie sind bei Investitionsentscheidungen nicht ausschlaggebend. Die Führungskräfte europäischer Unternehmen wünschen sich auch eine stabile Politik und entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte.

Der Kulturkampf in den USA, der sich um alles dreht – von der Abtreibung über die Einstellung von Arbeitskräften mit unterschiedlichem Hintergrund bis hin zu Impfstoffen – ist für Außenstehende schwer zu bewältigen, und auch der amerikanische Arbeitsmarkt ist nach wie vor angespannt, was durch den politischen Stillstand in der Einwanderungspolitik noch verschärft wird. Einige Führungskräfte befürchten auch, dass der wachsende parteipolitische Konflikt über umweltorientierte Investitionen zu Problemen für EU-Unternehmen führen wird, die die von Brüssel auferlegten Vorgaben zum Klimawandel erfüllen müssen.

Die Russen haben den USA die Chance gegeben, beträchtliche ausländische Direktinvestitionen für ihren Industriesektor zu gewinnen – es sei denn, die Politiker verspielen die Gelegenheit.

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