Die drohende Kohlekrise in Europa

Während Europa aufgrund des Krieges in der Ukraine mit der schlimmsten Energiekrise seit Jahrzehnten konfrontiert ist, bemühen sich die Hauptstädte, ihre Gasreserven für den Winter aufzustocken. Aber auch ein anderer Brennstoff könnte bald knapp werden: Kohle. Nach der Gaskrise droht Europa jetzt auch noch eine Kohlekrise.

Trotz der Bemühungen der EU, die Emissionen zu senken, steigt der Verbrauch von Kohle zurzeit weiter an. Eine Reihe von Ländern, darunter Österreich und die Niederlande, haben entweder alte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen oder bestehende Kapazitäten aufgestockt, um Gas zu sparen.


Keine Kohle mehr aus Russland

Das Problem ist, dass die EU bald ihres größten Lieferanten beraubt sein wird. Die EU verhängte im April Sanktionen gegen russische Kohle und verbietet ab dem 10. August weitere Importe (Europäische Kommision, 08.04.2022). Das bedeutet, dass die 2 Millionen Tonnen Kohle, welche Europa noch im August aus Russland erhalten hat, die letzte Lieferung sein wird, sagte Alex Thackrah, ein leitender Kohleanalyst beim Marktforschungsunternehmen Argus Media.

Hinzu kommen ernsthafte logistische Herausforderungen bei der Beschaffung und dem Transport des Brennstoffs aus anderen Ländern.„Es wird sicherlich eine Herausforderung sein, in diesem Winter genügend Kohle zu bekommen“, kommentiert Thackrah die Situation. Europa leitet eine Kohlekrise durch eigene Sanktionen ein.

Die drohende Kohlekrise in Europa. Deutschland und Polen sind stark abhängig von Kohle. Eine Verknappung wird zu einer enormen Krise führen.
Die drohende Kohlekrise in Europa. Deutschland und Polen sind stark abhängig von Kohle. Eine Verknappung wird zu einer enormen Krise führen.

Kohlekrise in Europa – Kohlepreis auf das Vierfache des Vorjahres gestiegen

Indonesien, Südafrika und Kolumbien sind allesamt potenzielle Lieferanten, aber die EU-Länder sind dabei mit extrem hohen Preisen konfrontiert. Das liegt auch daran, dass man in der EU normalerweise Kohle mit einem besonders hohen Heizwert verwendet, so Thackrah. Die Kohlepreise am API2-Hub in Rotterdam, einer europäischen Benchmark, erreichten letzte Woche 380 $ pro Tonne, was bereits mehr als das Vierfache des Vorjahrespreises bedeutet.

Die EU wird auch mit einem „harten Wettbewerb“ von Akteuren wie Indien und Südkorea konfrontiert, die mit vielen dieser Länder bestehende Kohlelieferverträge haben, so Mark Nugent, Analyst beim Schiffsmakler Braemar.


Logistische Probleme könnten die Sache noch komplizierter machen.

Ein Großteil der Kohle, kommt über die Häfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen in der EU an. Von dort transportieren Binnenschiff sie auf dem Rhein weiter. Durch ungewöhnlich hohe Temperaturen ist der Wasserstand des Rheins auf 65 Zentimeter gesunken. Dadurch müssen die Lastkähne ihre Fracht um zwei Drittel reduzieren. Auf dem Rhein droht mittlerweile sogar die komplette Einstellung der Binnenschifffahrt. Durch den Beschluss, die Kohlekraftwerke abzuschalten, haben die meisten der betroffenen Kraftwerke ihre eigenen Kohlenhalden bereits abgebaut. Um diese weiter betreiben zu können, sind sie auf einen kontinuierlichen Nachschub angewiesen.

Obwohl Kraftwerke in der Regel über eigene Lager verfügen, lagert man Kohle in den Häfen, wenn deren Transport nicht möglich ist. Aber die Bestände in den europäischen Häfen nähern sich dem Höchststand. Nach Angaben des Kohlehandelsverbands Euracoal, liegen derzeit rund 8 Millionen Tonnen Kohle in den Häfen fest und warten auf den Weitertransport (POLITICO, 29.07.2022).


Deutschland ist stark abhängig von russischen Energieträgern

Versorgungsengpässe und -ausfälle werden wahrscheinlich in Polen und Deutschland am stärksten zu spüren sein.

Eine Verknappung in Deutschland – wo im vergangenen Jahr 37 Prozent des gesamten Steinkohle- und Braunkohleverbrauchs der EU anfielen – wäre besonders schmerzhaft für die Stahl- und Chemieindustrie, sagte Rudolf Juchelka, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Duisburg-Essen. Auch die Stromerzeugung wäre betroffen, wenn auch in geringerem Maße.

Juchelka warnte auch davor, dass die Regierung gezwungen sein könnte, strengere Energierationierungsmaßnahmen einzuführen. Dies gelte insbesondere, wenn Russland die Gaslieferungen einstellt oder logistische Probleme die Kohlelieferungen weiterhin behindern. „Wenn diese Effekte zusammenkommen, wird es Probleme geben“, sagte er.

Ein Sprecher des deutschen Klimaministeriums sagte, die Kraftwerksbetreiber hätten dem Gesetzgeber „zugesichert“, dass sie genügend Kohle gelagert hätten, um den Ausfall der russischen Kohle auszugleichen. Die Regierung hat außerdem eine neue Verordnung erlassen, die darauf abzielt, Energielieferungen gegenüber anderen Lieferungen zu priorisieren, um im Falle einer Krise vorbereitet zu sein, fügte der Sprecher hinzu. Mittlerweile räumt die Deutsche Bahn Kohletransporte auf der Schiene Vorrang vor dem Personenverkehr ein (Tagesschau:16.08.22). Die Transportkapazität eines Güterzugs liegt allerdings weit unter der eines Binnenschiffs.


Polen noch viel härter betroffen als Deutschland

In Polen ist die Regierung derweil in einen politischen Skandal verwickelt, weil sie es versäumt hat, die Kohlereserven des Landes zu erschließen.

Rund 2 Millionen polnische Haushalte heizen immer noch mit Steinkohle, wobei jeder von ihnen durchschnittlich drei Tonnen pro Winter verbrennt, so Robert Tomaszewski, leitender Energieanalyst beim Think Tank Polityka Insight. Vor dem Krieg in der Ukraine importierte das Land zu diesem Zweck jährlich rund 7 Millionen Tonnen Kohle aus Russland.

Mit dem EU-Verbot für russische Kohle, das im nächsten Monat in Kraft treten soll, besteht nun „ein sehr großes Risiko, dass für einige Haushalte nicht genug Kohle zur Verfügung steht“, so Tomaszewski, der schätzt, dass in Polen im Winter zwischen 1 und 2 Millionen Tonnen Kohle fehlen werden.

Polens Regierungschef reagiert zu spät auf Kohleknappheit

Nach einer Untersuchung des polnischen Nachrichtenmagazins Onet hat das eigene Kabinett Premierminister Mateusz Morawiecki Anfang März gewarnt, dass Sanktionen gegen russische Kohle zu einem massiven Defizit führen könnten. Das Kabinett hat ihn aufgefordert, eine neue strategische Kohlereserve einzurichten (onet (polnisch), 29.07.2022). Morawiecki reagierte jedoch weder auf die Warnung noch führte seine Regierung eine formelle Folgenabschätzung der von der EU vorgeschlagenen Kohlesanktionen durch, bevor sie für diese stimmte, wie Onet berichtete.

In dem Bemühen, die Wogen zu glätten, kündigte Morawiecki an, dass die betroffenen Haushalte ein „Kohlenstoffzertifikat“ in Höhe von 3.000 Złoty (631 Euro) erhalten würden, um den Kauf von Kohle zu unterstützen (onet (polnisch), 19.07.2022). Zudem wies er die staatlichen Kohleunternehmen an, bis zum 31. August 4,5 Millionen Tonnen Kohle zu kaufen (onet (polnisch) 14.07.2022).

Aber diese Kohlekäufe rechtzeitig zu den Haushalten zu bringen, wird wahrscheinlich unmöglich sein, sagte Tomaszewski. Wenn die Vorräte knapp sind, werden auch die Geldgeschenke an die Haushalte wenig bringen.

Die polnische Energieministerin Anna Moskwa räumte in einem Interview ein, dass die Regierung bei der Bewältigung der logistischen Probleme mit den Lieferungen vor einer schwierigen Aufgabe stehe (Energetyka (polnisch), 29.07.2022). Sie betonte jedoch, es sei „nicht wahr“, dass es nicht genug Kohle für den Winter gebe. Dazu verwies sie auf neue Verträge, die derzeit ausgehandelt würden.


Polen setzt Qualitätsanforderungen für Kohle aus, um Engpass entgegenzuwirken

Ein Sprecher des polnischen Klimaministeriums erklärte, es arbeite an multidirektionalen Lösungen für das Kohleproblem. Deshalb habe er eine neue Verordnung eingeführt, die die bestehenden Qualitätsanforderungen für einige Kohlearten, die auf dem Markt für Haushalte verkauft werden, für 60 Tage aussetze. Dies soll helfen, die Verfügbarkeit von Kohle zu erhöhen.

Abgesehen von dem sich abzeichnenden Problem in diesem Winter könnte eine mögliche Kohleknappheit der konservativen Regierung auch bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr Probleme bereiten, warnte Tomaszewski. Neue Umfragen zeigen zum ersten Mal seit 2015, dass die Regierungspartei abgewählt werden könnte. Morawieckis politischer Fehler könnte ihm am Ende politisch sehr schaden. Die Kohlekrise in Europa könnte die polnische Regierung stürtzen.

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