Die Bahn verabschiedet sich von der Zukunft – Aus für selbstfahrende Züge

Der Traum von autonomem Bahnverkehr in Deutschland ist vorerst gescheitert. Noch rollt in Stuttgart ein umgerüsteter Mireo-Zug fahrerlos in die Abstellanlage – gesteuert durch Sensorik von Bosch, konstruiert von Siemens und koordiniert durch die Deutsche Bahn. Doch dieses symbolträchtige Pilotprojekt markiert auch sein eigenes Ende. Der Konzern beendet das Vorhaben rund um selbstfahrende Züge und zieht sich gleichzeitig aus mehreren Schlüsseltechnologien der Bahn-Digitalisierung zurück (wiwo: 22.03.25).


Strategiewechsel beim Projekt selbstfahrende Züge

Ein interner Foliensatz der DB-Infrastrukturtochter InfraGo offenbart den geplanten Rückzug: Digitale Projekte wie „Advanced Digital Infrastructure“, „CTMS“ zur Kapazitätssteuerung und der sogenannte „intelligente Fahrplan“ sollen stark reduziert oder ganz gestrichen werden. Besonders drastisch fällt der Beschluss zum Projekt „ATO GoA4“ aus – die Technik für vollautomatisches Fahren wird laut Konzernentscheid im nächsten Jahr komplett eingestellt. Die Gründe liegen laut interner Analyse vor allem in fehlendem kurzfristigen Nutzen und begrenzten Baukapazitäten.

Die Deutsche Bahn stoppt ihre Projekte für selbstfahrende Züge und streicht Entwicklung digitaler Zukunftstechnologien
Die Deutsche Bahn stoppt ihre Projekte für selbstfahrende Züge und streicht Entwicklung digitaler Zukunftstechnologien

Zeitgleich bereitet die Bahn die Streichung von rund 90 Entwicklerstellen vor. Die digitale Schiene, einst als strategische Zukunftsfähigkeit präsentiert, steht plötzlich nicht mehr im Fokus. Zwar verweist der Konzern auf „Anpassungen“ und „kleinere Weiterentwicklungen“, doch die Richtung ist klar: Investiert wird in das, was kurzfristig Wirkung entfaltet.

Ausrichtung auf kurzfristigen Nutzen

Die Deutsche Bahn folgt damit einem wachsenden Trend in der Industrie. Auch die Automobilbranche hat sich in den letzten Jahren zunehmend von ihren Ambitionen im Bereich autonomes Fahren verabschiedet. Die Bahn passt sich an – und damit ihrem eigenen Sparkurs. Das Sanierungsprogramm S3 fordert sichtbare Verbesserungen innerhalb von zwei Jahren. Innovationen mit ungewissem Zeithorizont fallen durch dieses Raster.

Ein internes Dokument spricht offen von einer neuen Fokussierung auf „betriebliche Notwendigkeiten“ statt „zu langen Entwicklungen“. Digitalisierung soll sich lohnen – sofort, nicht irgendwann. Dieses Prinzip prägt nun die gesamte technische Strategie. Selbst die einst gefeierten selbstfahrenden Züge, lange als Antwort auf Lokführermangel und steigende Betriebskosten betrachtet, erscheinen plötzlich verzichtbar.

Folgen für Industrie und Fördermittel

Der Rückzug der Bahn gefährdet nicht nur eigene Ziele, sondern auch die Innovationskraft der gesamten Bahnindustrie. Ein Branchenexperte, der anonym bleiben möchte, warnt: Ohne die DB als Ankerkunden stagniere die Entwicklung. Große Firmen wie Siemens und Bosch, aber auch viele mittelständische Anbieter würden Projekte nicht fortführen, wenn der wichtigste Auftraggeber aussteigt.

Zudem könnten bereits investierte Fördergelder verloren gehen. Das interne Papier nennt einen drohenden „Reputationsschaden“ und mögliche Rückforderungen in Höhe von 42 Millionen Euro beim AutomatedTrain-Projekt. Die Bahn verweist zwar auf die Chance, diese Mittel anderweitig zu verwenden, doch das Vertrauen in langfristige Innovationsvorhaben dürfte nachhaltig beschädigt sein.


Milliardenbedarf ohne klare Prioritäten

Gleichzeitig meldet der Konzern weiter gigantische Investitionsbedarfe an. Allein in der vergangenen Woche bezifferte die Bahn ihren Finanzbedarf für die nächsten zehn Jahre auf 290 Milliarden Euro. Rund 30 Milliarden davon sollen in die Digitalisierung fließen. Ob diese Mittel tatsächlich bereitgestellt werden, bleibt ungewiss. Die Hälfte der Summe soll aus einem geplanten Sondervermögen stammen – eine politische Entscheidung steht noch aus.

Auch innerhalb der Bundesregierung existieren unterschiedliche Prioritäten. Während sich die Union für stärkere Digitalisierung ausspricht, fokussiert sich die SPD auf die Sanierung des Bestandsnetzes. In dieser Lage könnte die Deutsche Bahn selbst entscheiden, wie sie die Staatsgelder einsetzt – und priorisiert aktuell klar jene Maßnahmen, die kurzfristig auf das Netz wirken.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Zukunftsprojekte wie die selbstfahrenden Züge geraten ins Abseits. So endet ein ambitionierter Innovationskurs, bevor er flächendeckend Fahrt aufnehmen konnte.

Zuletzt aktualisiert am Januar 14, 2025 um 20:39 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
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