Der Rückzug von ArcelorMittal aus zwei Vorzeigeprojekten für CO₂-neutralen Stahl entlarvt den energiepolitischen Irrweg Deutschlands. Trotz Milliardenhilfen fehlt ein verlässlicher Rahmen für Investitionen. Frankreich profitiert – mit günstigerem Strom und klareren Bedingungen. IG Metall fordert nun einen Krisengipfel. Das Bundeswirtschaftsministerium wiegelt ab, doch der Schaden ist längst sichtbar (welt: 27.06.25).
Ein Irrweg mit Folgen für die Industrie
Trotz zugesicherter 1,3 Milliarden Euro bleibt das Projekt auf Eis. ArcelorMittal hält die wirtschaftlichen Voraussetzungen für unzureichend. „Die Wirtschaftlichkeit dieser Umstellung ist nicht ausreichend gegeben“, so Geert Van Poelvoorde. Zudem schreite die Energiewende insgesamt langsamer voran als geplant. Zwar strebt der Konzern weiterhin CO₂-Reduktion an, doch die angestrebten Ziele bis 2030 erscheinen immer unrealistischer.

Diese Absage bedeutet einen herben Rückschlag für die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Ohne stabile Versorgung mit CO₂-neutralen Energieträgern lassen sich Öl und Gas nicht ersetzen. Das Projekt ist kein Einzelfall, sondern reiht sich in eine Kette gescheiterter Milliardenhilfen ein – ein weiterer Beleg für den energiepolitischen Irrweg.
Kritik an fehlender Weichenstellung
Veronika Grimm, Mitglied im Wasserstoffrat und Beraterin im Wirtschaftsministerium, sieht strukturelle Ursachen für das Scheitern. Subventionen allein reichten nicht, wenn Rahmenbedingungen Investoren abschrecken. Statt individueller Hilfspakete brauche es Planungssicherheit, verlässliche Energiepreise und einen Ausbau der Infrastruktur.
Grimm plädiert für technologische Offenheit: Erdgas und Atomstrom sollen die Brücke zur Wasserstoffwirtschaft schlagen. Die Ampel-Koalition jedoch setzt ausschließlich auf „grünen“ Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen. Grimm hält diesen Kurs für unrealistisch: „Man setzt in Deutschland und der EU auf den falschen Dampfer. Man will sehr schnell grün sein, kann sich die Transformation aber letztendlich nicht leisten.“
Fehlende Grundlagen bremsen Ausbau
Die ambitionierten Pläne in Bremen und Eisenhüttenstadt scheitern nicht an der Technik, sondern an der Realität. Die Infrastruktur für Wasserstofftransporte fehlt. Es existiert weder ein Markt für grünen Wasserstoff noch ausreichende Produktionsmengen. ArcelorMittal bewertet die Energiequelle daher als nicht tragfähig.
Michael Kellner, ehemals Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, fordert vom Staat ein klares Bekenntnis zum Wasserstoff. Zudem müsse der Staat selbst grünen Stahl einkaufen – etwa für Brücken- und Gleisbau – um Nachfrage zu schaffen und Arbeitsplätze zu sichern.
Letzte Hoffnung auf kleinere Anbieter
Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und Saarstahl verfolgen ihre Umstellungspläne weiter, doch ihre Marktstellung bleibt begrenzt. In Duisburg entsteht derzeit eine Direktreduktionsanlage. Damit will Thyssenkrupp ein Signal für Klimaschutz und Standorttreue senden. Dennoch sieht man auch dort große Herausforderungen beim Energiepreis und beim Netzausbau.
Veronika Grimm äußert grundsätzliche Zweifel am Stahlstandort Deutschland. Energieintensive Produktion gehöre dorthin, wo Energie günstig und verlässlich sei. Länder ohne Kernkraft, Kohle oder Wasserkraft stünden dabei naturgemäß im Nachteil – ein Umstand, den die deutsche Politik bislang ignoriert.
Frankreich nutzt den deutschen Irrweg aus
ArcelorMittal hat sich längst entschieden: Statt in Deutschland entsteht die neue Anlage in Frankreich – mit günstigerem Atomstrom und weniger Unsicherheit. Der energiepolitische Irrweg Deutschlands öffnet anderen Ländern die Tür. Während Berlin zögert, investiert Paris.
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