In Südwales prägt eine grüne, sanfte Hügellandschaft das Bild. Für die meisten ist das eine Postkartenidylle. Doch Michael Jenner sieht mehr. Als Vorstandsvorsitzender von Last Energy UK will er hier die Kernenergie revolutionieren – mit einem Konzept, das an das Lego-Prinzip erinnert. Sein US-Startup plant kleine, modulare Reaktoren, die Effizienz und Geschwindigkeit vereinen. Diese Reaktoren sollen den wachsenden Energiebedarf der digitalen Welt stillen, besonders für datenintensive Anwendungen wie Rechenzentren und künstliche Intelligenz (montelnews: 04.11.24).
Wie ein „Lego-Reaktor“ die Energiezukunft in Wales revolutionieren könnte
Die Industriebrache des ehemaligen Kohlekraftwerks Llynfi könnte zum Symbol dieser Transformation werden. 1977 schloss das alte Kraftwerk, und sämtliche Pläne zur Wiederbelebung verliefen im Sand. Jetzt verspricht Last Energy, bis 2027 einen kleinen, aber leistungsstarken Baukastenreaktor dort zu errichten.
Jenner erklärt, dass die Mini-Reaktoren eine Lösung für die energieintensive Zukunft bieten, ohne die jahrzehntelangen und kostspieligen Herausforderungen traditioneller Reaktorprojekte zu wiederholen. Das Lego-Prinzip sorgt dafür, dass alles nahtlos und effizient zusammenpasst.
Modularität als Schlüssel zur Effizienz
Das Konzept hinter den neuen modularen Reaktoren, auch SMR genannt, erinnert an das Lego-System. Anders als die traditionellen Gigawatt-Reaktoren, die regelmäßig durch hohe Kosten und lange Bauzeiten negativ auffallen, setzen diese kleinen Einheiten auf standardisierte Produktion. Die Vorteile sind deutlich: Schnellere Fertigung, niedrigere Kosten und eine einfachere Anpassung an den Bedarf.
Große Namen der Technologiebranche wie Amazon, Google und Microsoft haben bereits den Schritt gewagt. Sie schließen Verträge für diese Baukastenreaktoren ab, um ihren wachsenden Strombedarf mit emissionsfreier Energie zu decken. Diese Unternehmen erkennen, dass die konventionelle Energieerzeugung nicht mit ihrem Energiehunger Schritt halten kann, besonders wenn Nachhaltigkeit eine Priorität bleibt.
Ein kompaktes Energiewunder
Vier Reaktormodule von Last Energy könnten auf einem Fußballfeld Platz finden und erzeugen jeweils 20 Megawatt Strom. Das bedeutet, dass 80 solcher Module eine Gesamtleistung von 1,6 Gigawatt erreichen – vergleichbar mit einem großen Reaktor wie dem Flamanville 3 in Frankreich. Jenner beschreibt das Konzept als eine Art Lego-Baukasten. Alle Bauteile werden in einer Fabrik hergestellt, und eine existierende Lieferkette gewährleistet eine rasche Montage. Martin Darelius, Kernenergie-Projektentwickler beim schwedischen Versorger Vattenfall, betont die Notwendigkeit der Modularisierung. Nur wenn diese funktioniert, werden SMR wirklich kosteneffizient.
Doch Kritiker wie Laurent Leveugle von Fortum weisen darauf hin, dass große Reaktoren Skaleneffekte nutzen, um die Stromkosten zu senken. SMR müssen erst beweisen, dass ihre Bauweise diese finanziellen Vorteile kompensiert. Olkiluoto 3, ein finnischer EPR-Reaktor, startete mit einer massiven Verzögerung und verschlang 11 Milliarden Euro. Solche Erfahrungen zeigen die finanziellen Risiken, die große Anlagen mit sich bringen.
Staatliche Hilfe als Voraussetzung
In den nordischen Ländern könnten SMR ohne staatliche Unterstützung scheitern. Dennoch prüft Vattenfall mögliche Kooperationen mit Rolls-Royce und GE Hitachi, um eine Umsetzung voranzutreiben. „Ohne Subventionen geht es einfach nicht“, betont Darelius. Schweden, Polen und die Tschechische Republik stehen an der Spitze der europäischen SMR-Initiativen. Olli Soppela, Analyst bei VTT, sieht diese Länder aufgrund ihrer Investitionsbereitschaft als potenzielle Vorreiter.
Gleichzeitig bleibt die Skepsis groß. Der Greenpeace-Experte Jan Haverkamp warnt, dass SMR eine riskante Wette darstellen. Die Entwicklung sei teuer, und der Bau nehme zu viel Zeit in Anspruch, während die Klimakrise drängt. Für Haverkamp steht fest: Schnelle, verfügbare Lösungen wie Energieeffizienz und Nachfrageflexibilisierung seien heute wichtiger. Die Vision von SMR sei eher ein teures Experiment.
Wirtschaftliche Hürden und mögliche Lösungen
Trotz der Herausforderungen verspricht das Lego-ähnliche Konzept Vorteile, die traditionelle Reaktoren nicht bieten. SMR könnten direkt auf Betriebsgeländen errichtet werden, was Kosten für Netzanschlüsse spart. Zusätzlich könnte die Abwärme für industrielle Prozesse genutzt werden, was das Geschäftsmodell attraktiver macht. Antonio Michelon von Afry sieht in der Wärmenutzung einen entscheidenden Punkt. Nur so könnten sich die Investitionen langfristig auszahlen.
Jenner von Last Energy warnt vor dem Vergleich der Stromgestehungskosten von SMR mit konventionellen Kraftwerken. Stattdessen müsse man sie mit anderen CO₂-armen Optionen wie Gasturbinen mit CO₂-Abscheidung vergleichen. Auch die Europäische Union sieht die Relevanz dieser neuen Technologie. Eine SMR-Allianz, gegründet, um die Entwicklung voranzutreiben, unterstützt Projekte wie die von Last Energy. Im Oktober 2023 wählte die EU neun vielversprechende Projekte aus, um die Kernenergie voranzubringen.
Zukunftsaussichten und Risiken
Die Aussicht auf eine SMR-Zukunft ist verlockend, aber sie birgt auch Risiken. Carl Sommerholt von Eurelectric betont, dass europäische Investitionsmittel entscheidend sind. Doch VTT-Forscher Soppela weist darauf hin, dass die instabilen Investitionsbedingungen in der EU eine große Hürde darstellen. Unsicherheit über Subventionsregelungen oder grüne Wasserstoffquellen erhöht die Risiken für Investoren.
Ob SMR die Kernenergie retten, bleibt abzuwarten. Sollte die Technologie jedoch die Erwartungen nicht erfüllen, könnte die Begeisterung schnell ins Gegenteil umschlagen. Soppela warnt vor einem politischen Rückschlag, der Milliardeninvestitionen vernichten könnte. Doch Michael Jenner bleibt optimistisch. „Wir glauben fest daran, dass das funktioniert“, erklärt er. Ob sich die Vision mit dem Lego-Baukastenprinzip zwischen den grünen Hügeln von Wales realisieren lässt, liegt in der Zukunft – aber Jenner und Last Energy sind überzeugt, dass ihr Konzept Erfolg haben wird.
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