In der Ampelkoalition brechen immer mehr kleine und große Streitereien aus. Sie gehen über das übliche Polittheater hinaus und erscheinen inzwischen als ziemlich gefährlich. In den letzten vier Tagen gab es mehrere bemerkenswerte Konfliktherde (t-online, 18.07.2022)
Aktuelle Streitpunkte in der Ampelkoalition
Streitpunkte finden die Koalitionäre auf verschiedensten Politikfeldern. Diese haben überwiegend wenig bis nichts miteinander zu tun, doch es ergibt sich angesichts der vielen Reibungspunkte ein verstörendes Bild vom Zusammenhalt der Regierung:
- Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) äußerte die Intention, die Regelsätze für Hartz IV neu zu berechnen. Sie sollen für einen angemessenen Inflationsausgleich deutlich steigen. Die Grünen jubelten, während die FDP widersprach: Sie verwies auf den Koalitionsvertrag, an den sich der Arbeitsminister halten solle.
- Etwa zeitgleich empfahl Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch den jüngeren Deutschen eine vierte Coronaimpfung. Wiederum bekam er Kontra von der FDP. Deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stichelte öffentlich, Lauterbach solle lieber die effiziente Pandemiebekämpfung managen.
- Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Brandbrief auf, eine „Nationale Ukraine-Konferenz“ einzuberufen und darin aufzuzeigen, was sie bisher für die Ukraine getan hat und was sie noch zu tun gedenkt. Dabei bekam sie Gegenwind von Scholz und weiteren SPD-Politikern, die so eine Konferenz für überflüssig halten.
- Die Grünen-Chefin Ricarda Lang kritisierte Verkehrsminister Wissmann (FDP) deutlich für seine unzulängliche Klimapolitik. Darauf erhielt sie eine scharfe Antwort aus den Reihen der FDP-Abgeordneten, die von „im Wochentakt platzierten Schwachsinnsforderungen“ aus den Reihen der Grünen sprachen und auch den Vorschlag von Lang, Mieter mit einem verstärkten Kündigungsschutz zu schonen, pauschal verwarfen. O-Ton von FDP-Bundestagsabgeordneten: Nicht die FDP sei der Störenfried in der Ampelkoalition, vielmehr würden die Grünen quertreiben. Dem Vorwurf seiner Parteikollegen schloss sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) an, auch wenn er sich gewählter ausdrückte. Jedoch hält er ein Kündigungsmoratorium für Mieter für unsinnig.
- Nicht zuletzt flammte wieder die Atomkraftdebatte auf. FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte eine Laufzeitzeitverlängerung und setzte hierzu mit seinen FDP-Kollegen aus den Ländern eine gemeinsame Erklärung auf. Dem entgegnete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne), dass solche Vorschläge unausgewogen seien und die Realitäten nicht objektiv bewerteten. Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang ging mit dem FDP-Vorschlag sogar hart ins Gericht. Er sei wahrscheinlich eine strategische Debatte, so Lang, mit dem die FDP ein echtes Blamegame für das kommende Winterhalbjahr vorbereiten wolle. Es ging den Liberalen nur darum, den Grünen dann den Energiemangel vorzuhalten, der allseits befürchtet wird.
Gefahr durch zu viel Unfrieden
Es herrschen Krieg und Krise, weshalb die vielen Streitereien beunruhigend wirken. Natürlich gehört Streit zur Politik, doch in der gegenwärtigen Lage erscheint die Stimmung in der Ampelkoalition als besonders gefährlich. Zwar ist es nachvollziehbar, dass unsere Spitzenpolitiker gegenwärtig eine Häufung unterschiedlichster Krisen managen müssen und das an den Nerven zerrt. Zur Pandemie und der Klimaproblematik kommen nun noch der russische Angriffskrieg, die Inflation und die Energienotlage. Eine drohende Wirtschaftskrise scheint kaum noch abwendbar. So stark war lange keine Bundesregierung gefordert.
Das Gefährliche an der zerstrittenen Stimmung in der Ampel ist aber, dass deren Fundament zu bröckeln droht. Es war zwar klar, dass die drei Parteien in dieser Koalition in Teilen recht unterschiedliche Positionen vertreten. Doch sie versprachen der Bevölkerung: Wir sind uns unserer Unterschiede bewusst, werden sie produktiv handhaben und haben hierfür einen umfangreichen Koalitionsvertrag aufgesetzt. Zwischen uns herrscht ausreichend viel Vertrauen, um auch schwierige Konflikte zu meistern.
Diese Ausgangsbasis hatte bis vor dem russischen Krieg und vor der nach oben schießenden Inflation vor allem durch sich vervielfachende Energiepreise Bestand. Inzwischen aber ist der Koalitionsvertrag ein Dokument, in dem Spaltungspotenzial liegt. Zu verschieden sind einige Positionen von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, als dass sich für sie noch unter den neuen, deutlich verschärften Bedingungen brauchbare Kompromisse aushandeln ließen. Dennoch berufen sich die Koalitionäre auf ihren Vertrag miteinander. Das ist a) opportun und b) auch kaum zu umgehen, denn so einen Vertrag formuliert man nicht einfach neu. Also wird allerorten sein Geist beschworen, während in Wahrheit das Vertrauen zwischen den drei Parteien erodiert.
In den vergangenen Tagen musste die beunruhigte Öffentlichkeit nun wahrnehmen, dass es inzwischen offenkundig um einen Streit für das Schaufenster geht. Einige der Inhalte erscheinen nur noch wenig plausibel. Wenn sich aber eine Koalition um des Streites willen streitet, könnte sie alsbald zerbrechen. Das ist aus der Politik gut bekannt.
Droht der Bruch der Koalition?
Es knirscht gewaltig und übrigens erwartbar zwischen den Grünen und der FDP. Die SPD könnte als Mittlerin versuchen, die Wogen zu glätten. Hierbei ist vor allem der Kanzler gefordert. Schafft er das? An dieser Gretchenfrage dürfen wir das Schicksal der Ampel festmachen.
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