Die neueste Untersuchung der EU-Kommission zeigt, dass die Wasserstoff-Elektrolyse in Deutschland zukünftig nicht rentabel sein könnte. Überraschenderweise könnte Frankreich sich als Hauptproduzent von grünem Wasserstoff in Europa etablieren. Laut dieser Analyse, die kürzlich die Generaldirektion Energie der EU-Kommission veröffentlicht hat, gibt es bis 2050 keinen rentablen Markt für Elektrolyseure in Deutschland (fr: 11.08.23).
Deutschlands Wasserstoffplan wackelt: Fraunhofer-Studie deckt Schwachstellen auf
Für die EU wäre es am sinnvollsten, den gesamten Wasserstoffbedarf selbst zu produzieren, da Importe unrentabel sind. Wenn man jedoch Stoffe wie Ammoniak, Ethylen und Eisenschwamm kauft und nur die anschließenden Schritte in der EU durchführt, könnte sich der Wasserstoffbedarf um bis zu einem Drittel verringern. Das hätte klare Auswirkungen auf die Weiterentwicklung des Energiesektors. Die Studie „The impact of industry transition on a CO₂-neutral European energy system“ wurde vom Fraunhofer ISI in Karlsruhe im Rahmen von METIS durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Projekts beeinflussen oft die energiepolitischen Entscheidungen der Kommission.
Die Forscher nutzten Annahmen aus einem Dekarbonisierungsszenario der EU-Initiative „Clean Planet for All“ von 2018, um den Energiebedarf der Industrie zu modellieren. Sie untersuchten die wirtschaftlichsten Wege zur Erzeugung von Strom und Wasserstoff. Die Analyse konzentrierte sich rein auf technische und wirtschaftliche Faktoren, politische Aspekte wie die Sicherheit der Energieversorgung sind dabei nicht berücksichtigt. Dabei kamen Ergebnisse zutage, die bisherige Meinungen in der Wasserstoffdiskussion auf den Prüfstand stellen.
Der Bericht zeigt, dass mitteleuropäische Länder wie Deutschland, Belgien und die Niederlande trotz hohem Bedarf kaum Wasserstoff durch Elektrolyse produzieren. Die Forscher vom Fraunhofer-Institut prognostizieren für Deutschland 2050 eine Elektrolysekapazität von „0 GW“. Dabei plant die deutsche Regierung bis 2030 bereits eine Kapazität von zehn Gigawatt.
Wasserstoff in Europa: Warum Frankreich die Führung übernimmt und Macrons Ziele hinterfragt werden
Eine Erklärung liefert der EU-Bericht mit Blick auf die Kosten. Die Transportkosten für Wasserstoff sind im Vergleich zur Produktion niedrig. Zudem bieten Nachbarländer günstigere Voraussetzungen. Die Top-Wasserstoffproduzenten in Europa bis 2050, basierend auf ihrer Elektrolysekapazität, wären: Frankreich (130 GW), Spanien (120 GW), Großbritannien (70–80 GW), Norwegen (70 GW), Dänemark (50-60 GW), Polen (50 GW) und Finnland (20–70 GW).
Tobias Fleiter, der Leiter der Fraunhofer-Studie, erklärt Frankreichs Führungsposition mit vielen günstigen Standorten für Windenergie. Dennoch gibt es in der Studie gewisse Grenzen, insbesondere in Bezug auf den erneuerbaren Energieausbau in Frankreich. Die Studie schätzt, dass Frankreich bis 2050 Kapazitäten von 320 Gigawatt aus Photovoltaik und 300 Gigawatt aus Windenergie an Land haben könnte. Diese Zahlen stehen jedoch im Kontrast zu den politischen Zielen der französischen Regierung.
Laut dem deutsch-französischen Büro für die Energiewende hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Rede in Belfort im letzten Februar Ziele von 100 Gigawatt Photovoltaik und 40 Gigawatt Offshore-Windenergie angegeben. Der aktuelle Ausbau von Windenergie an Land in Frankreich ist zudem recht bescheiden.
Atomkraft, Wasserstoff und Europas unerwartete Energiezukunft
Die Fraunhofer-Studie geht auch davon aus, dass die Stromproduktion der französischen Atomkraftwerke von 360 Terawattstunden im Jahr 2021 auf 206 Terawattstunden bis Mitte des Jahrhunderts sinken wird. Dies wäre realistisch, wenn ältere Kraftwerke schneller außer Betrieb genommen als neue gebaut werden. Bei der Produktion von mehr Atomstrom, würden die Elektrolysekapazitäten wahrscheinlich niedriger ausfallen, so Fleiters Einschätzung.
Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien ins Stocken gerät, könnte Deutschland bei der Wasserstoffproduktion profitieren. Khaled Al-Dabbas, ein Co-Autor der Studie, meint, dass in einem Szenario, in dem Europa nur 70 % des erneuerbaren Energiepotenzials nutzt, die Elektrolyse in Deutschland wirtschaftlich vertretbar wäre, auch wenn die Kapazitäten weiterhin bescheiden wären. Eine höhere Wasserstoffproduktion in Deutschland ist auch in einem nicht öffentlichen Szenario mit geringeren Übertragungskapazitäten zu erwarten. Tobias Fleiter schlussfolgert jedoch, dass es für Deutschland wirtschaftlich vorteilhafter wäre, die europäische Integration in die Überlegungen stärker einzubeziehen.
Die Forscher sehen trotz zahlreicher politischer Bestrebungen in Brüssel und Berlin eine Selbstversorgung Europas mit Wasserstoff als durchaus realistisch und sogar kosteneffizienter im Vergleich zu Importen. „Das hat selbst die Kommission überrascht“, meint Fleiter. „Es zeigt das enorme und kosteneffiziente Potenzial erneuerbarer Energien in der EU.“
Wie Importe Europas Wasserstoffstrategie kippen könnten
Allerdings gibt es ein anderes Szenario bei 30 Prozent weniger Ausbau erneuerbarer Energien. Hier wäre Europa auf einen minimalen Wasserstoffimport von 160 Terawattstunden über Pipelines aus Marokko angewiesen. Ein verschwindend kleiner Wert im Vergleich zu den 3.000 Terawattstunden, die Europa produzieren könnte.
Auch wenn diese Importe gering wären, könnten Schiffstransporte mit Wasserstoffderivaten und Basisprodukten für Industriezweige wie Düngemittel, Chemie und Stahl wichtig werden. Das ISI hat untersucht, was passieren würde, wenn Produkte wie Ammoniak, Ethylen und Eisenschwamm importiert und nicht mehr in Europa hergestellt würden. Das Ersetzen dieser drei Produkte würde den Wasserstoffbedarf um ein Drittel reduzieren. „Unser Energiesystem würde sich drastisch verändern“, so Fleiter.
Mit dieser Verringerung des Bedarfs würden viele Offshore-Windparks in Deutschland nicht mehr benötigt. Die Kapazitäten könnten um 60 Prozent sinken. Selbst viele Dach-Solaranlagen wären wirtschaftlich überflüssig.
Fleiter erwähnt, dass Unternehmen in der Grundstoffindustrie unterschiedliche Ansichten zur Dekarbonisierung haben. Einige möchten grünen Methanol und Ammoniak importieren, während andere Wasserstoff bevorzugen. Je nach gewählter Strategie könnten einige Produktionsprozesse in der EU bleiben, andere könnten verlagert werden. Der Wasserstoffbedarf in der Industrie ist ungewiss und nicht so sicher, wie oft gedacht.
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