Vor wenigen Jahren entschied sich die Schweizer Bevölkerung für den Ausstieg aus der Atomkraft. Suzanne Thoma, die ehemalige Chefin des Stromkonzerns BKW, die maßgeblich an der Abschaltung des AKW Mühleberg beteiligt war, hält nun ein neues Atomkraftwerk in den nächsten 20 Jahren für „ziemlich wahrscheinlich“. Dies äußerte sie im Rahmen des „Eco Talk“. Ein modernes AKW könnte ihrer Meinung nach zur Lösung der Energieprobleme beitragen, insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit im Winter. Die Forderung nach einem Atomkraft-Comeback erweist sich als kostspielig und wirft die Frage auf, wie sicher bestehende Reaktoren ohne Neubauten betrieben werden können (srf: 21.08.24).
Atomkraft vs. Erneuerbare: Expertenstreit über ein Atomkraft-Comeback für die Schweizer Energieversorgung
Auf der anderen Seite stehen die AKW-Gegner. Marcel Tobler von der schweizerischen Energie-Stiftung lehnt neue Atomkraftwerke entschieden ab. Er betont, dass das Schweizer Stimmvolk bereits mehrmals gegen den Bau neuer AKWs votiert habe. Außerdem existiere derzeit keine funktionsfähige neue AKW-Generation. Ein weiteres Argument der Gegner: Die Kosten für Planung und Bau eines neuen AKWs könnten leicht aus dem Ruder laufen. Alternativen wie Sonnen-, Wind- und Wasserkraft könnten schneller, günstiger und effizienter genutzt werden. Tobler verweist darauf, dass Solarstrom in wenigen Jahren die Winterstromproduktion der AKWs erreichen könnte.
Suzanne Thoma sieht den verstärkten Ausbau der Photovoltaik zwar positiv, hält ihn jedoch für eine teure Lösung, besonders wenn man die Gesamtkosten des Systems betrachtet. Zudem stellt sie infrage, ob Photovoltaik die Versorgungssicherheit im Winter gewährleisten kann. Für ein energieintensives Land wie die Schweiz wäre es riskant, die Energieversorgung hauptsächlich auf Sonnenenergie zu stützen.
Atomkraft-Comeback als Lösung für die Wintermonate: Milliardeninvestition in die Schweizer Energieversorgung
Thomas Nordmann, ein Pionier im Bereich Solarstrom, vertritt die Ansicht, dass die Schweiz nur in den Wintermonaten von Dezember bis Februar eine Versorgungslücke aufweist. Er hält es für einen Fehler, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, das ganzjährig Strom liefert, um lediglich diese drei Monate zu überbrücken. Außerdem stellt sich die Frage, wer bereit wäre, die erheblichen Kosten von 10 bis 20 Milliarden Franken zu tragen. Weder die Elektrizitätswirtschaft noch Banken zeigen Interesse, dieses finanzielle Risiko einzugehen. Selbst wenn ein Investor gefunden würde, könnten erst in zwanzig Jahren konkrete Bauarbeiten beginnen, da zahlreiche juristische und politische Hürden zu überwinden wären. Bis dahin müssten alternative Lösungen längst gefunden sein.
Marcel Tobler führt weiter aus, dass die Solarenergie bereits jetzt zehn Prozent des Schweizer Strombedarfs deckt. Er prognostiziert, dass Solarstrom in den nächsten zehn bis zwölf Jahren die Winterstromproduktion der AKWs erreichen könnte, was schneller ginge als die reine Planungsphase für ein neues AKW. Die Befürworter von Atomkraft argumentieren hingegen, dass künftige AKW-Generationen deutlich günstiger werden könnten als die heutigen Anlagen.
AKW Mühleberg: Symbol für die umstrittene Zukunft der Atomkraft in der Schweiz
Ein weiteres Beispiel für die Komplexität der Atomkraft in der Schweiz liefert die Geschichte des AKW Mühleberg. Suzanne Thoma verweist darauf, dass es damals aussichtslos gewesen wäre, vom Staat Geld für die notwendige Sanierung von Mühleberg zu fordern. „Wenn man damals ins Bundeshaus gegangen wäre mit der Bitte um 200 oder 300 Millionen für ein Kernkraftwerk, wäre man ausgelacht oder hinausgeworfen worden.“ Die Aufsichtsbehörde hatte damals strenge Sicherheitsanforderungen gestellt, die eine teure Sanierung erforderten, bevor das AKW schließlich als erstes in der Schweiz vom Netz genommen wurde.
Die Diskussion um die Zukunft der Atomkraft in der Schweiz bleibt kontrovers. Die Befürworter sehen in neuen, modernen AKWs eine mögliche Lösung für die Energieversorgung der Zukunft. Die Gegner hingegen setzen auf den Ausbau erneuerbarer Energien und warnen vor den enormen Kosten und Risiken, die mit dem Bau neuer Atomkraftwerke verbunden sind. Angesichts der langen Planungs- und Bauzeiten wird die Schweiz jedoch zeitnah Entscheidungen treffen müssen, um ihre Energieversorgung zu sichern.
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