Vorzeitige Abschaltung von Kohlekraftwerk -Schweizer Energieversorger verklagt Deutschland

Der Tessiner Stromversorger AET verlangt 85 Millionen Euro von Deutschland. Grund dafür ist die geplante Abschaltung des Steinkohlekraftwerks Trianel in Lünen. AET hält knapp 16 Prozent an der Anlage und hatte mit einem Betrieb bis 2053 gerechnet. Das deutsche Kohleausstiegsgesetz legt jedoch das Ende des Kraftwerks bereits für 2031 fest. Weil für diese frühere Stilllegung kein Ausgleich vorgesehen ist, sieht sich das Unternehmen um Einnahmen betrogen (nzz: 18.05.25).


Internationale Klage wegen Energiecharta-Vertrag

Die Klage basiert auf dem Energiecharta-Vertrag. Dieses Abkommen erlaubt es Investoren, Staaten zu verklagen, wenn politische Entscheidungen ihre Projekte gefährden. Zuständig ist das ICSID, ein Schiedsgericht der Weltbankgruppe. Es soll Investitionssicherheit über Staatsgrenzen hinweg garantieren. AET hat das Verfahren im Oktober 2023 in Washington angestoßen, öffentlich wurde es aber erst jetzt.

Schweizer Energieversorger AET fordert wegen vorzeitiger Abschaltung des Kohlekraftwerks Lünen 85 Mio. Euro Schadenersatz von Deutschland
Schweizer Energieversorger AET fordert wegen vorzeitiger Abschaltung des Kohlekraftwerks Lünen 85 Mio. Euro Schadenersatz von Deutschland

Die Energiecharta gilt als mächtiges Werkzeug für Unternehmen. Kritiker betonen, dass sie staatliche Umweltpolitik ausbremsen könne. In diesem Fall geht es um Milliarden, die Deutschland für seine Klimapolitik zu zahlen droht – und nicht zum ersten Mal.

Weitere Schweizer Unternehmen betroffen

Auch andere Schweizer Energieunternehmen stehen durch den Kohleausstieg unter Druck. Die BKW aus Bern besitzt ein Drittel des Kohlekraftwerks in Wilhelmshaven. Ein Sprecher des Unternehmens erklärte, man prüfe rechtliche Schritte, sollte auch bei diesem Werk zu einer vorzeitigen Abschaltung kommen. Eine Klage sei bislang jedoch nicht anhängig.

Die Diskussion um Schiedsverfahren trifft in Deutschland auf Skepsis. Umweltorganisationen wie Powershift befürchten eine Welle von Klagen gegen Klimaschutzgesetze. Fabian Flues warnt: „Hier soll das unternehmerische Risiko auf Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt werden – das ist nicht hinnehmbar.“ Seiner Ansicht nach könnte ein Erfolg von AET Nachahmer ermutigen und Klimapolitik erheblich verteuern.

Investitionssicherheit durch neutrale Gerichte?

Ganz anders bewertet Ökonom Christoph Eisenring vom Think-Tank Avenir Suisse die Lage. Der Energiesektor erfordere verlässliche Bedingungen über Jahrzehnte hinweg. „Wenn die Energiepolitik alle fünfzehn Jahre wechselt, wird es schwierig.“ Aus seiner Sicht schaffen internationale Schiedsgerichte Vertrauen, weil sie unabhängiger urteilen als nationale Instanzen. Gerade bei grenzüberschreitenden Projekten sei das entscheidend.

Die Klage von AET gegen die vorzeitige Abschaltung dürfte deshalb als Lackmustest für das Zusammenspiel von internationalem Investitionsschutz und nationaler Klimapolitik gelten. Die Rechtslage bleibt allerdings kompliziert, insbesondere im europäischen Kontext.


Zwei Präzedenzfälle mit gegensätzlichem Ausgang

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie unterschiedlich Gerichte in solchen Fällen entscheiden. 2012 klagte der schwedische Energiekonzern Vattenfall gegen den Atomausstieg in Deutschland. Das ICSID-Verfahren führte zu einem Vergleich. Die Bundesregierung zahlte insgesamt 2,43 Milliarden Euro an mehrere Unternehmen, davon ging über die Hälfte an Vattenfall.

Anders lief es für RWE, Uniper und Mainstream Renewable Power. Diese Firmen wollten vor dem ICSID gegen Deutschland und die Niederlande klagen. Doch der Bundesgerichtshof lehnte ab. Der Europäische Gerichtshof hatte zuvor entschieden, dass solche Verfahren unter EU-Recht unzulässig sind. Für Investoren aus EU-Ländern bleibt also nur der Weg über nationale Gerichte.

Im Fall von AET greifen diese Einschränkungen nicht. Als Schweizer Unternehmen unterliegt AET nicht dem EU-Recht. Die Klage könnte deshalb vor dem ICSID Bestand haben. Wie das Gericht entscheidet, ist offen – doch die Signalwirkung dürfte weit über diesen Einzelfall hinausreichen.

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