Explodierende Kosten für Strom und Gas, einseitige Kündigungen der Verträge durch die Versorger, Lieferstopps, massive Erhöhungen der Abschlagszahlungen und untergeschobene Verträge: Bei der bundesweiten Schlichtungsstelle und den Verbraucherzentralen mehren sich die Beschwerden über Strom- und Gasversorger (Sueddeutsche: 13.11.22). Die Verbraucher versuchen sich zu wehren.
Zahl der Schlichtungsanträge bei der Schlichtungsstelle Energie steigt auf Rekordwert
Bei der bundesweiten Schlichtungsstelle für Energie hat der Preisanstieg bei Strom und Gas in diesem Jahr zu einer Rekordzahl an Beschwerden geführt. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2022 stieg die Zahl der Schlichtungsanträge mit 15 250 auf fast das Doppelte wie im gesamten Vorjahr an. Der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle, Thomas Kunde, geht davon aus, dass die Zahl bis zum Jahresende auf etwa 18 000 Schlichtungsanträge steigen wird. „Es ist das antragstärkste Jahr, das wir bislang hatten“, sagt er.
Das Ziel der seit dem Jahr 2011 bestehenden Schlichtungsstelle ist es, bei Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Energiefirmen eine „außergerichtliche und einvernehmliche“ Lösung zu finden. Verbraucher, die Strom und Gas privat nutzen, können bei der Schlichtungsstelle einen entsprechenden Schlichtungsantrag stellen. „Die Energieversorger sehen sich mit höheren Einkaufspreisen konfrontiert“, erklärt Kunde. Beim Versuch, diese Kostensteigerungen an die Verbraucher weiterzugeben, gingen diese aber nicht immer korrekt vor. „Wo das nicht der Fall ist, steigt das Beschwerdeaufkommen“, sagt Kunde.
Preiserhöhungen, Kündigungen und Einstellung der Lieferung häufigster Grund
Alleine zu den Preiserhöhungen gingen bis Ende Oktober 3350 Schlichtungsanträge ein. In vielen Fällen wurden von den Versorgern die Tarife trotz Preisgarantie angehoben. Weitere 3000 Beschwerden gab es bei der Schlichtungsstelle zu „sonstigen Schadenersatzansprüchen“. Darunter fällt auch der Grund, dass der Energieversorger die Belieferung einfach einstellt. Da die betroffenen Kunden dann zu einem neuen Anbieter mit schlechteren Konditionen wechseln müssen, fordern sie deshalb Schadenersatz vom bisherigen Versorger.
Verbraucherzentralen registrieren ebenfalls hohe Anzahl an Beschwerden
Auch bei den Verbraucherzentralen gehen immer mehr Beschwerden über die Energieversorger ein. Sie registrierten im ersten Halbjahr 2022 gut 28 000 Eingaben. Dabei hat sich das Beschwerdeaufkommen, laut dem Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen (VZBV), bei Strom im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdreifacht und bei Gas sogar versiebenfacht.
Verbraucher würde sich am meisten über zweifelhafte Preiserhöhungen, untergeschobene Verträge, zu hohe Abschläge oder unberechtigte Kündigungen beschweren. „Einige Energieanbieter versuchen, aus der Energiepreiskrise Profit zu schlagen. Der VZBV geht deshalb auch rechtlich gegen solche Verstöße vor“, berichtet Jutta Gurkmann, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik beim Bundesverband. Alleine im ersten Halbjahr habe die VZBV zehn Abmahnungen ausgesprochen und in drei Fällen Klage eingereicht. Darüber hinaus gebe es auch drei Musterfeststellungsklagen gegen Energiefirmen, an denen sich Verbraucher beteiligen können. Gurkmann fordert von der Politik mehr Kontrolle der Energiefirmen. Hier sei in erster Linie die Bundesnetzagentur in der Pflicht. „Ohne starke, unabhängige Aufsicht auf dem Energiemarkt geht es nicht“, so Gurkmann.
Energiediscounter im Focus der Beschwerden
„Es gibt einige Firmen, die besonders viele Beschwerden auf sich ziehen“, erläutert Geschäftsführer Kunde von der Schlichtungsstelle. Insbesondere sogenannte Energiediscounter hätten in den vergangenen Monaten mit Kündigungen, drastischen Preiserhöhungen und horrenden Abschlägen Ärger bei den Kunden verursacht. Der Schlichtungsstelle gelänge es auch in solchen Fällen, bei vier von fünf Beschwerden den Streit beizulegen. Bevor betroffene Kunden allerdings die Schlichtungsstelle anrufen, müssen sie sich zuerst beim betroffenen Unternehmen beschweren. Kann das Unternehmen die Beschwerde innerhalb von vier Wochen nicht lösen, können Verbraucher sich schriftlich an die Schlichtungsstelle Energie wenden.
Ein entsprechendes Schlichtungsverfahren dauert im Schnitt etwa drei Monate und ist für die Verbraucher kostenlos. Eine Einigung bei der Schlichtung ist für beide Seiten bindend. Gelingt die Schlichtung nicht, bleibt dem Verbraucher nur noch der Gang vor Gericht.
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