Mitten in der scheinbaren Idylle der Nordsee lauert eine unsichtbare Gefahr, die die Energiewende auf hoher See erheblich ins Wanken bringen könnte: Monsterwellen. Diese gewaltigen Wasserwände, auch „Freak Waves“ oder „Rogue Waves“ genannt, erreichen Höhen von bis zu 26 Metern und treten völlig unerwartet auf. Für die moderne Offshore-Windkraft sind sie ein kaum kalkulierbares Risiko – mit potenziell verheerenden Folgen (tagesspiegel: 10.05.25).
Gewaltige Naturkräfte treffen auf moderne Technik
Offshore-Windparks sind Schlüsselprojekte für die künftige Energieversorgung Europas. Doch genau dort, wo Windenergie effizient gewonnen wird, entstehen diese extremen Wellen häufiger als bislang vermutet. Neue Untersuchungen des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie zeigen, dass in der deutschen Nordsee regelmäßig Extremwellen auftreten – vor der Insel Norderney ist statistisch gesehen bereits jede 5.800. Welle eine potenzielle Monsterwelle.

Diese kolossalen Wassermassen wirken mit enormer Kraft auf die Strukturen der Windkraftanlagen ein. Der Druck, den eine 20 Meter hohe Welle bei einem direkten Treffer ausübt, kann bis zu 1.000 Kilonewton pro Quadratmeter betragen – das entspricht etwa dem 100-Fachen des Drucks, den eine durchschnittliche Autobahnbrücke aushalten muss. Besonders gefährdet sind die Türme und Fundamente, die den gewaltigen Stoßkräften kaum standhalten können. Schäden an Plattformen, Turbinen und Umspannwerken sind die Folge – Reparaturen sind teuer, aufwendig und gefährden den wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen.
Die Gefahr wächst mit jedem Ausbau
Der rasante Ausbau der Windkraft auf See verschärft die Problematik zusätzlich. Je mehr Anlagen in den gefährdeten Gebieten entstehen, desto größer wird das Risiko von millionenschweren Ausfällen. Bereits 2013 sorgte ein Zwischenfall auf der Offshore-Forschungsplattform „Fino“ für Aufsehen: Eine einzige Extremwelle richtete Schäden in Höhe von 120.000 Euro an – trotz der massiven Bauweise der Forschungsstation. Moderne Windkraftanlagen, die auf sogenannte Monopiles oder Jacket-Strukturen setzen, sind zwar auf hohe Belastungen ausgelegt, aber vor allem für standardisierte Seegangsszenarien und nicht für extrem seltene Monsterwellen dimensioniert.
Auch aktuelle Zwischenfälle verdeutlichen die Bedrohung. Im Dezember 2023 traf eine Monsterwelle das norwegische Kreuzfahrtschiff „MS Maud“, zerschlug Fenster auf der Brücke und legte die Navigationssysteme lahm. Nur unter größten Schwierigkeiten war es möglich das schwer beschädigte Schiff nach Bremerhaven zu schleppen. Ein solches Szenario im Bereich von Windparks hätte weitreichende Folgen – nicht nur finanziell, sondern auch für die Versorgungssicherheit.
Warum entstehen Monsterwellen?
Die Entstehung dieser extremen Wellen ist ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Wind, Strömung, Wassertiefe und die Überlagerung von Wellenfronten spielen dabei eine zentrale Rolle. Besonders gefährlich wird es, wenn Wellen unterschiedlicher Richtungen und Frequenzen zusammentreffen. Durch sogenannte „konstruktive Interferenz“ addieren sich die einzelnen Wellen zu einer einzigen, gigantischen Wasserwand. In flacheren Küstenregionen, wie der deutschen Nordsee, verstärken sich diese Effekte durch plötzliche Änderungen der Wassertiefe zusätzlich.
Frühwarnsysteme lassen auf sich warten
Obwohl die Gefahr längst erkannt ist, gibt es bisher keine zuverlässigen Frühwarnsysteme für Monsterwellen. Wissenschaftler arbeiten intensiv an neuen Prognosemodellen, die auf künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen basieren. Sensoren in Bojen, Messstationen und Satellitendaten sollen in Echtzeit ausgewertet werden, um kritische Wellensituationen frühzeitig zu erkennen. Bis diese Systeme einsatzbereit sind, bleibt das Risiko jedoch hoch.
Ein teures Risiko für die Energiewende
Die Energiewende auf hoher See ist auf massive Investitionen und langfristige Erträge angewiesen. Schäden durch Monsterwellen gefährden nicht nur einzelne Anlagen, sondern die Wirtschaftlichkeit ganzer Windparks. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Offshore-Windkraft muss das Thema Extremwellen bei der Planung künftiger Projekte stärker berücksichtigt werden.
Höhere Sicherheitsstandards, robustere Bauweisen – etwa durch die Kombination von Monopile- und Jacket-Konstruktionen – und verbesserte Risikobewertungen sind unerlässlich, um die grüne Energieversorgung nicht von den Launen der Natur abhängig zu machen. Nur durch innovative Schutzmaßnahmen und eine realistische Einschätzung der Bedrohung können die Offshore-Windparks der Zukunft den gewaltigen Kräften der Ozeane standhalten.
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