Was wir vor kurzem in unserem Artikel „Wie wirksam ist ein Ölembargo?“ zunächst nur vermutet haben, ist jetzt anhand neuer Zahlen nachweislich eingetreten. Im zweiten Monat des Krieges gegen die Ukraine hat Russland trotz Ölembargo mehr Öl exportiert als ein Jahr zuvor. Und das, obwohl mehrere Länder bereits kein Öl mehr aus Russland kaufen. Das russische Öl geht demnach mit Tankern nach Asien. Zwar gibt Russland einen kräftigen Rabatt, angesichts der drastisch gestiegenen Preise sind die Einnahmen aber gegenüber dem Vorjahr kaum gesunken.
Indien kauft große Mengen russisches Öl
Als Großabnehmer ist vor allem Indien eingesprungen. Indien ist der drittgrößte Ölimporteur der Welt. Indien pflegt enge Handelsbeziehungen mit Russland, hat dort aber vor allem Waffen eingekauft. Jetzt nimmt Indien große Mengen Öl ab. Zu einem benötigt Indien immer mehr Öl und zum anderen kann Indien jetzt das Öl billiger beziehen.
Russland gibt hohen Rabatt – Staatsfinanzierung trotzdem gesichert
Indien ist im April „zum größten Abnehmer von russischem Urals-Rohöl“ geworden, das „mit hohen Preisnachlässen lockte, da mehrere europäische Stammkunden dieses Öl nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine boykottiert haben“ lautet es in einem Bericht der Ratingagentur Standard & Poor’s. Demnach hat Indien ein Viertel der gesamten russischen Exportmenge im April abgenommen. Dabei gibt Russland den Indern einen Preisnachlass bis zu 40 Dollar je Barrel. Am Weltmarktpreisen kostet ein Barrel aktuell mehr als 100 Dollar. Für Russland stellt dies allerdings kein Problem dar, denn um den Staatshaushalt zu finanzieren reicht ein Preis von 45 Dollar zur Genüge aus.
Trotz Ölembargo – Russland verkauft mehr Öl als vor dem Krieg
Das indische Energieministerium reagiert auf die weltweite Kritik, mit dem enormen Energiebedarf des Landes. Deshalb kaufe Indien das benötigte Öl bei allen Anbietern der Erde. Trotz Sanktionen des Westens verkauft Russland dadurch sogar mehr Öl als vor dem Krieg.
Der Öl-Experte Adi Imsirovic vom Oxford Institute for Energy Studies weist allerdings darauf hin, dass nicht alles Öl, das auf Tankern transportiert wird, auch tatsächlich verkauft wurde. So würden zum Beispiel einige der Tanker in die Karibik liegen und könnten westliche Häfen aufgrund der Sanktionen nicht anlaufen. Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Tanker neue Zielhäfen zugewiesen bekommen.
Im Jahr 2021 hat Russland ca. 10,5 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte am Tag produziert. Davon gingen täglich 7 Millionen Barrel in den Export. Das entspricht in etwa 13 Prozent des weltweiten Ölhandels. Davon gingen vor dem Krieg 2,7 Millionen Barrel Öl und 1,5 Millionen Barrel Ölprodukte nach Europa. Das entspricht mehr als die Hälfte der russischen Exporte. Ein großer Teil davon wurde über Pipelines und Schiene transportiert.
Genügend Tanker am Weltmarkt, um Öl zu verschiffen
Laut Standard & Poor’s gibt es am Weltmarkt aber genügend Tanker, um diese Mengen nach Asien zu verschiffen. Ein weiterer potenzieller Abnehmer wäre China. Allerdings ist aktuell unklar, wie viel russisches Öl China derzeit abnimmt. Die chinesischen Staatskonzerne halten sich offensichtlich mit ihren Geschäften in Russland zurück. China will sich nicht mit den USA anlegen und Gefahr laufen, mit Sekundärsanktionen belegt zu werden. Allerdings kaufen bereits private chinesische Ölunternehmen laut einem Bericht der „Financial Times“ große Mengen russisches Öl mit hohen Rabatten ein. In der Branche ist es aber ein offenes Geheimnis, dass es ungewöhnlich viele Öllieferungen von Russland in die Volksrepublik gebe. Vor den chinesischen Häfen stauen sich bereits die Tanker.