Für die Entlastung seiner Bürgerinnen und Bürger übernimmt der niederländische Staat in Kürze einen Teil deren Rechnung für Strom und Gas. Die Subvention fließt bis zur Höhe des durchschnittlichen Grundbedarfs, der sich aus den Verbrauchsdaten der Vorjahre ergibt. Wer mehr verbraucht, zahlt dann den geltenden Marktpreis. In Deutschland wurde schon ein ähnliches Modell angedacht (SPIEGEL, 20.09.2022).
Statement von Willem-Alexander
In seiner jüngsten Thronrede in Den Haag, die traditionell das parlamentarische Jahr eröffnet, zeigte sich König Willem-Alexander bestürzt über die Preissteigerungen der letzten Monate, die größere Schichten hart belasten. Es sei schmerzlich, so der König, dass immer mehr Niederländerinnen und Niederländer Mühe hätten, ihre Miete, die Energierechnung, Einkäufe und die Krankenversicherung zu bezahlen.
Die Thronrede dient stets dazu, wichtige Pläne der Regierung anzukündigen. In diesem Jahr ging es um den Preisdeckel für Strom und Gas. Dieser soll beim vierköpfigen Haushalt für 1.200 m³ Kubikmetern Gas und 2.400 kWh Strom gelten. Die Preise für diese Mengen des Grundbedarfs sollen auf dem Niveau bis Anfang Februar 2022, mithin vor dem Ukrainekrieg, gedeckelt werden. Gas soll höchstens 1,50 €/m³, Strom 0,70 €/kWh kosten. Wer mehr verbraucht, zahlt dafür den geltenden Marktpreis, was die Verbraucher zum sparsamen Umgang mit den kostbaren Energieträgern angespornen dürfte.
Die Ersparnisse für den durchschnittlichen Haushalt betragen bei den Durchschnittspreisen des 3. Quartals 2022 rund 2.280 Euro pro Jahr. Die niederländische Regierung arbeitet aktuell die Details aus. Hierfür veröffentlichte sie heute eine Mitteilung, die als vorläufig gelten muss, weil die Haushaltspläne für angelaufene Wirtschaftsjahr noch nicht veröffentlicht wurden.
Reaktion der Regierung auf Kritik
Beobachter verweisen darauf, dass die in Den Haag regierende Mitte-Rechts-Koalition im Grunde nur auf massive Kritik der letzten Monate reagiert. Die Opposition wirft ihr zögerliches Handeln in Sozialfragen vor, Fachleute schlagen Alarm. Das CPB (Centraal Plan Bureau), das die Regierung offiziell berät, veröffentlichte in der letzten Woche eine Prognose, nach der in Kürze wahrscheinlich rund 1,2 Millionen Haushalte nicht mehr ihre Energierechnungen bezahlen können.
Mehr als doppelt so viele Betroffene schätzt das unabhängige Nibud (Nationales Institut für Budget-Information), dass von 2,5 Millionen Haushalten ausgeht, was ein Drittel der niederländischen Bevölkerung wäre. Diese düsteren Perspektiven schrecken nicht nur die Opposition auf. Zwar hatte die Regierung Ende August ein Hilfspaket über 17 Milliarden Euro beschlossen, dass allgemein die Kaufkraft stärken soll. Dessen Mittel sollen aber erst ab 2023 fließen. Forderungen nach Soforthilfen hatte die Regierung bislang zurückgewiesen. Sie seien unmöglich zu finanzieren, hieß es stets. In Umfragen stürzte die Vier-Parteien-Koalition des konservativen Premiers Mark Rutte daraufhin ab, was den jüngsten Sinneswandel zum Teil erklären dürfte.
Aktuell genießt die niederländische Regierung auf einer bis 10 reichenden Skala nur noch eine Popularität von 3,3 – einen so schlechten Wert gab es seit Beginn dieser Erhebung noch nie. Die Niederländer*innen wünschen offenkundig eine neue Regierung. 65 % von ihnen sprachen sich in einer aktuellen Umfrage für Neuwahlen innerhalb des nächsten halben Jahres aus. Selbst unter den Anhängern der Koalitionsparteien scheint dieser Wunsch stark ausgeprägt zu sein. Der niederländische Preisdeckel für Strom und Gas dürfte daher auch eine Rettungsleine für die Regierung bedeuten.
Folgen der niederländischen Energiepolitik
Nicht nur in Deutschland gibt es die Diskussion, was man in Fragen der Energieversorgung in den vergangenen Jahrzehnten hätte anders machen sollen. Auch die Niederlande kann sich vorwerfen lassen, ihren Energiemarkt nicht ausreichend geopolitisch kalkuliert zu haben. Der Energiemix des Landes ist traditionell sehr stark auf Gas ausgerichtet.
Seit der Energiemarkt 2004 liberalisiert wurde, wechselten zudem viele Verbraucher*innen freudig immer wieder ihre Verträge, um das Gas so günstig wie nur möglich beziehen zu können. Das drückte die Preise weiter, was ja ein gewollter Effekt des liberalen Marktes war, führt aber nun dazu, dass die von explodierenden Beschaffungspreisen gebeutelten Versorger ebenso stark ihre Preise wieder erhöhten können – und das im Gleichschritt miteinander. Die Gasverträge mit Verbrauchern wurden vor allem auf Wunsch der Verbraucher oft mit kürzesten Kündigungsfristen abgeschlossen, was sich nun rächt: Auch der Versorger kann schnell den Vertrag kündigen. Dann bleibt den Kundinnen und Kunden nur ein Neuabschluss zu deutlich schlechteren Konditionen.
Mehrere Milliarden Euro Kosten
Die genauen Kosten des niederländischen Preisdeckels sind noch nicht bekannt, doch es werden wohl viele Milliarden Euro sein. Genaueres erfahren die Verbraucher*innen, wenn der Energieminister Rob Jetten seine Pläne konkret vorgestellt hat.
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