Die schwarz-rote Bundesregierung plant eine umfassende Reform des Windkraftrechts – inklusive Abschaffung des Mindestabstands zu Wohngebieten. Kritiker aus den Ländern sehen darin eine Bedrohung für Mensch, Natur und die planerische Ordnung. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack warnt: „Bis zum Inkrafttreten der neuen Regionalpläne Wind und dem damit verbundenen Erreichen des vom Bund vorgegebenen Flächenziels wäre so Wildwuchs möglich.“ Kommunen könnten kurzfristig nahezu frei über neue Windkraftstandorte entscheiden – selbst in bislang geschützten Zonen (shz: 10.07.25).
Mindestabstand soll landesweit entfallen
Der Gesetzentwurf entzieht den Ländern zentrale Steuerungsbefugnisse. Gemeinden dürften künftig auch außerhalb definierter Vorranggebiete Windkraftprojekte umsetzen – ohne vorherige Freigabe im Zielabweichungsverfahren. Diese Prüfung diente bisher dazu, konkurrierende Nutzungen wie Landwirtschaft, Tourismus oder Naturschutz einzubeziehen.

Besonders scharf fällt die Kritik am geplanten Wegfall der Mindestabstände aus: Bisher galten 800 bis 1000 Meter Abstand zu Wohngebieten und 400 Meter zu Splittersiedlungen. Künftig greifen nur noch die allgemeinen baurechtlichen Vorschriften und der gesetzliche Lärmschutz – mit deutlich geringerer Schutzwirkung.
Artenschutz droht unter die Räder zu geraten
Zusätzlich zum Mindestabstand geraten auch ökologisch sensible Bereiche unter Druck. Sütterlin-Waack warnt vor schwerwiegenden Auswirkungen auf streng geschützte Vogelzugrouten. „Mit Inkrafttreten der Norm wären die künftigen Vorgaben des Landes beispielsweise zu Siedlungsabständen, zum Artenschutz oder dem überregionalen Vogelzug hinfällig.“
Besonders betroffen ist die Halbinsel Eiderstedt, die als zentrale Zugvogelachse gilt. Sie wurde im Landesentwicklungsplan bislang bewusst vom Windkraftausbau ausgenommen. Diese Schutzwirkung entfällt künftig – Kommunen dürfen auch dort Bauanträge stellen, ohne Rücksicht auf überregionale Umweltplanung.
Energiewende ohne Planbarkeit?
Auch der für Energie zuständige Minister Tobias Goldschmidt übt deutliche Kritik. Er warnt vor einem massiven Vertrauensverlust in die Energiewende. „Das Gesetz würde den Windfrieden im Land massiv gefährden“, betont er. Zwar kündige der Bund eine Beschleunigung an – tatsächlich aber drohten Verzögerungen durch Klagen, Streitigkeiten und Unsicherheiten.
Goldschmidt nennt das Gesetz „offenkundig mit extrem heißer Nadel gestrickt und praxisfern“. Aus seiner Sicht führt es zu mehr Konflikten auf kommunaler Ebene, hemmt Investitionen und untergräbt die Akzeptanz bei Anwohnern und Bürgerinitiativen.
Entscheidung unter Zeitdruck
Der Bundesrat soll bereits an diesem Freitag über die Reform abstimmen. Die Länderkammer erhielt den Entwurf erst eine Woche vor dem Termin – zu wenig Zeit für eine seriöse Prüfung. Schleswig-Holstein kündigte seine Ablehnung an, auch andere Länder könnten sich dem Votum anschließen.
Ziel der Reform ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Beschleunigung des Windkraftausbaus. Doch der politische Widerstand wächst. Ob der Bundesrat das Vorhaben durchwinkt oder Änderungen verlangt, ist noch offen.
Planungssicherheit braucht Mindestabstand
Der Ausbau der Windenergie gilt als Schlüssel für die Energiewende. Doch ohne klare Regeln wächst die Gefahr eines unkontrollierten Booms. Der Mindestabstand stellt aus Sicht vieler Länder ein unverzichtbares Instrument dar, um Nutzungskonflikte zu vermeiden und die Akzeptanz zu sichern. Sein ersatzloser Wegfall droht nicht nur Ordnung und Natur zu gefährden – sondern auch das Vertrauen in eine verlässliche und gerechte Energiepolitik.
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