Die deutschen Kommunen rutschen 2024 in ein Defizit historischen Ausmaßes. Laut Bertelsmann Stiftung verlieren sie ihre Handlungsfähigkeit. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen warnt: „Wenn wir unsere Aufgaben nicht erfüllen können, dann höhlen wir Stück für Stück die Demokratie aus.“ Die Folgen spüren Bürger direkt – etwa, wenn Spielplätze verfallen oder kommunale Dienste ausfallen (welt: 30.07.25).
Rekord-Defizit zwingt Kommunen in die Knie
Nur 16 von 430 Kommunen in Nordrhein-Westfalen schaffen einen ausgeglichenen Haushalt. Der kommunale Fehlbetrag liegt bundesweit bei 24,8 Milliarden Euro – das größte Defizit seit Bestehen der Bundesrepublik. Gleichzeitig explodieren die Ausgaben: Personal, Sachmittel und Sozialleistungen treiben die Etats tief ins Minus.

Die Steuereinnahmen stagnieren, während die Kosten rasant steigen. Innerhalb eines Jahres kletterten die Gesamtausgaben der Kommunen um zehn Prozent. Allein die Personalausgaben haben sich seit 2014 verdoppelt. Auch Sachkosten legten stark zu – ebenso wie die Ausgaben für soziale Leistungen.
Strukturelle Schieflage durch dauerhaftes Defizit
„Das Defizit des Jahres 2024 markiert eine Zeitenwende, welche die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen nachhaltig infrage stellt“, erklärt Brigitte Mohn von der Bertelsmann Stiftung. Mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen entfallen auf kommunale Ebene. Bricht diese weg, gefährdet das den sozialen Zusammenhalt.
Der Bund habe zu viele Aufgaben übertragen, ohne für ausreichend Mittel zu sorgen. Auch die Länder müssten ihre Verantwortung übernehmen. Mohn fordert eine tiefgreifende Staatsreform, um die Zukunft der Städte zu sichern.
Hilfsprogramme verschleierten lange die Schieflage
Zwischen 2015 und 2022 schrieben viele Kommunen noch schwarze Zahlen. Doch laut Finanzreport war das Ergebnis seit 2020 stark von Sondereffekten geprägt. 2023 setzte die Wende ein, 2024 wuchs das Defizit auf das Dreifache des Vorjahres.
Besonders betroffen sind eigentlich wirtschaftsstarke Länder wie Bayern und Hessen. Doch auch in Ostdeutschland bleibt die Lage prekär. 17 der 20 finanzschwächsten Kommunen liegen in den neuen Bundesländern.
Klimaziele rücken durch Defizit in weite Ferne
Trotz Investitionen in Rekordhöhe – 52 Milliarden Euro im vergangenen Jahr – steigt der Investitionsrückstand weiter an. Er liegt inzwischen bei rund 215 Milliarden Euro. Vor allem klimabezogene Projekte bleiben auf der Strecke.
„Angesichts der aktuellen Finanzlage werden die Kommunen die dafür notwendigen Mittel nicht allein aufbringen können“, warnt Kirsten Witte von der Bertelsmann Stiftung. Selbst neue Sondervermögen könnten den Bedarf nur teilweise decken.
Ohne Reformen bleibt das Defizit chronisch
Witte fordert langfristige Modelle wie gemeinsame Sondervermögen von Bund und Ländern oder öffentlich-private Transformationsfonds. Nur mit dauerhaften Strukturreformen lässt sich die chronische Unterfinanzierung der Kommunen überwinden – und das Defizit schrittweise abbauen.
Der Kommunale Finanzreport erscheint seit 2008 im Zwei-Jahres-Turnus. Er analysiert die Finanzlage auf Basis amtlicher Statistiken – in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Wildau und dem Deutschen Institut für Urbanistik. Die aktuelle Analyse macht deutlich: Ohne politischen Kurswechsel drohen Stillstand und Vertrauensverlust.
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