FDP-Energieexperte Michael Kruse wirft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor, durch die erneute Verzögerung des Kohleausstiegs-Berichts gegen geltendes Recht zu verstoßen und die Versorgungssicherheit zu gefährden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat bisher keine klaren Aussagen zu den Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die Versorgungssicherheit, die Strompreise und die Klimaschutzziele. Ein Schreiben von Michael Kellner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, belegt dies. Es wurde an die Mitglieder der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie gesendet (handelsblatt: 04.06.24).
Bundeswirtschaftsministerium verzögert wichtigen Kohleausstiegs-Bericht um fast drei Jahre
Ein Schreiben vom 3. Juni, das dem Handelsblatt vorliegt, zeigt, dass sich der Bericht zu den Auswirkungen des Kohleausstiegs verzögert. Kellner bittet darin um Verständnis. Der Bericht ist im Kohleausstiegsgesetz vorgeschrieben. Der Staatssekretär erklärt, das Ministerium plane, den überfälligen Bericht „im Frühjahr 2025“ vorzulegen.
Wenn der Bericht tatsächlich im Frühjahr 2025 erscheinen sollte, beträgt die Verzögerung fast drei Jahre. Paragraf 54 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) schreibt vor, dass die Bundesregierung erstmals am 15. August 2022 einen Bericht vorlegen muss. Dieser Bericht soll die Folgen des Kohleausstiegs „auf wissenschaftlicher Grundlage“ überprüfen. Weitere Berichte sind für die Jahre 2026, 2029 und 2032 vorgesehen. Das Monitoring des Kohleausstiegs ist ein integraler Bestandteil des KVBG, das im August 2020 in Kraft trat und den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 regelt. Bereits eine Reihe von Kohlekraftwerken wurde auf Basis dieses Gesetzes stillgelegt.
Energiekrise und Verzögerungen: Habecks Kohleausstiegs-Bericht sorgt für Ärger in der Ampelkoalition
Um unerwartete Folgen für die Versorgungssicherheit und die Preisentwicklung zu vermeiden, sieht das Gesetz mehrere Überprüfungen vor. Kellner begründet die Verschiebung des Prüfberichts unter anderem mit der Energiekrise im Jahr 2022. Auch die Arbeiten an der Kraftwerksstrategie und an einem Kapazitätsmechanismus trugen zur Verzögerung bei. Das Ministerium liegt auch bei der Kraftwerksstrategie hinter dem Zeitplan. Diese soll Anreize für den Bau von Back-up-Kraftwerken schaffen, die einspringen sollen, wenn die Stromnachfrage nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Die Grundzüge des Kapazitätsmechanismus‘ sollen bald vorgestellt werden. Ziel ist es, das Vorhalten von Kraftwerkskapazitäten zu honorieren.
Die Verschiebung des Berichts führt auch innerhalb der Ampelkoalition zu Unmut. Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betont: „Bis heute weigert sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, den Kohleausstieg wissenschaftlich überprüfen zu lassen. Damit verstößt er gegen geltendes Recht.“ Er stellt die Frage: „Wie soll man von den Menschen in diesem Land die Einhaltung der Gesetze verlangen, wenn sich der Wirtschaftsminister selbst aussucht, an welche Gesetze er sich halten möchte?“
Durch die Verzögerungen bei Kraftwerksstrategie und Kapazitätsmarkt gefährde Habeck den Kohleausstieg und die Versorgungssicherheit, kritisiert Kruse. Der Bericht müsse daher umgehend vorgelegt werden.
Kohleausstieg verpufft? Bundesregierung kämpft um Löschung von CO₂-Zertifikaten
Die bisherige Abschaltung von Kohlekraftwerken hat sich noch nicht messbar in einer Reduktion von CO₂-Zertifikaten im europäischen Emissionshandelssystem niedergeschlagen. Ziel der Bundesregierung ist es, CO₂-Zertifikate in dem Umfang dauerhaft vom Markt zu nehmen, in dem Kraftwerke auf Basis des Kohleausstiegs stillgelegt werden. Dies muss bei der EU-Kommission beantragt werden.
Bleibt die Menge der Zertifikate trotz des Kohleausstiegs unverändert, verpufft der Kohleausstieg wirkungslos. Die Zertifikate kämen anderswo innerhalb der EU zum Einsatz. Tendenziell würde das CO₂-Preisniveau sogar sinken, da die Nachfrage nach Zertifikaten mit der Stilllegung der Kohlekraftwerke zurückginge. Auf Anfrage des Handelsblattes teilte das Ministerium mit, dass man im Dezember 2023 fristgerecht die „Absicht zur Löschung von Emissionszertifikaten im Zusammenhang mit im Jahr 2022 im Zuge des Kohleausstiegs erfolgten Kraftwerksstilllegungen“ erklärt habe. Diese Erklärung wurde gegenüber der Europäischen Kommission abgegeben. Die „Absichtsnotifizierung“ umfasst die maximal zu löschende Menge an Zertifikaten. Diese Menge ergibt sich aus den durchschnittlichen Treibhausgasemissionen der im Jahr 2022 stillgelegten Kraftwerke.
Kohleausstieg in der Schwebe: Kompliziertes Gutachten soll Klarheit über CO₂-Zertifikate bringen
Im nächsten Schritt soll ein Gutachten klären, ob und inwieweit eine nationale Löschung notwendig ist oder ob die Marktstabilitätsreserve dem Markt bereits alle infolge des Kohleausstiegs überschüssigen Emissionszertifikate entzogen hat. Erst danach erfolgt die „finale Notifizierung der zu löschenden Zertifikatemenge“, so das Ministerium.
Die Stilllegung der Zertifikate gestaltet sich weitaus schwieriger als angenommen. Insbesondere die Wechselwirkungen des Kohleausstiegs mit der Marktstabilitätsreserve sind schwer zu definieren. Die Marktstabilitätsreserve ist ein Mechanismus des europäischen Emissionshandelssystems. Sie dient dazu, überschüssige Zertifikate vom Markt zu nehmen. Diese Zertifikate können zu einem späteren Zeitpunkt teilweise wieder in den Markt eingespeist oder auch dauerhaft stillgelegt werden. Sie soll die Wirksamkeit des Emissionshandels erhöhen und starke Preisschwankungen verringern. Im Zusammenhang mit dem deutschen Kohleausstieg führt sie nun zu Abgrenzungsproblemen.
Das Ministerium erklärt, um die Menge an Zertifikaten zu bestimmen, die am Ende tatsächlich gelöscht werden soll, werde „die Netto-Minderungswirkung der stillgelegten Kraftwerke durch eine Strommarktmodellierung für die relevanten Kraftwerke ermittelt“.
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