Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck ist das „Tal der Tränen“ beim Ausbau der erneuerbaren Energien durchschritten. „Die Entwicklung zeigt in die richtige Richtung“, so Habeck weiter. Dabei verweist der Wirtschaftsminister auf den diesjährigen Rekord bei der Ökostromerzeugung von 47 Prozent. Dabei ignoriert er vollständig, dass die Stromerzeugung im Dezember größtenteils aus Braun- und Steinkohlekraftwerken kam, die zur Vermeidung von Stromausfällen aus der Reserve ans Netz zurückkehrten. Vom eigentlichen Ziel der Energiewende, nämlich den CO₂-Ausstoß zu reduzieren, haben wir uns weiter entfernt als in den Vorjahren. Doch Habeck übt sich weiter in Zweckoptimismus und verweist auf die erlassenen Gesetze und Verfügungen, die den Ausbau beschleunigen sollen (Zeit: 26.12.22).
Um Ziel zu erreichen, müssten in Deutschland in den nächsten 7 Jahren täglich 6 neue Windkraftanlagen in Betrieb gehen
Um die Zielvorgabe der Bundesregierung, 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen, bis 2030 zu erreichen, wäre in den nächsten sieben Jahren der Bau neuer Windkraftanlegen mit einer Leistung von 59 Gigawatt Leistung erforderlich. Das sind 3 Gigawatt mehr als in den letzten 20 Jahren insgesamt installiert wurden. Dafür, müsste laut dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln (EWI) in Deutschland ab dem Jahr 2023 täglich 6 Windräder mit einer Leistung von 4,2 Megawatt in Betrieb gehen. Um das Ziel von 115 Gigawatt bis 2030 zu erreichen, müssten pro Jahr fast neun Gigawatt installiert werden. Selbst im bisher stärksten Ausbaujahr 2017 hat man diese Installationsrate noch nicht erreicht und gerade einmal etwas mehr als die Hälfte davon installiert (Handelsblatt: 28.12.22).
Laut den vorläufigen Zahlen der Fachagentur Wind wurden im Jahr 2022 maximal 2,5 Gigawatt neue Windkraftleistung an Land installiert. Dabei hat die Bundesnetzagentur bei den letzten Windkraftausschreibungen nicht genug Investoren gefunden um das komplette Abschreibungsvolumen zu verkaufen.
Experten glauben nicht, dass sich der Ausbau weiter beschleunigen lässt
Jürgen Quentin von der Fachagentur Wind kommentiert die Situation so: „Aktuell sind es vor allem stark gestiegene Anlagenpreise, Kapitalzinserhöhungen sowie Lieferprobleme für einzelne Anlagenkomponenten, die den Ausbau hierzulande bremsen“. Quentin glaubt nicht, dass sich die Installationsrate in naher Zukunft merklich beschleunigen lässt, um die Situation zu verbessern.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat geplante Ausbaupfade für Wind- und Photovoltaik-Energie festgelegt. Bis 2023 sollen jährlich fünf Gigawatt, 2024 acht Gigawatt und ab 2025 jeweils zehn Gigawatt Windkraft neu hinzukommen. Ähnlich steil sind die geplanten Ausbaupfade für Photovoltaik. Um das Ziel zu erreichen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 80 Prozent zu erhöhen, muss sich die Installationsrate der Windenergie bis 2030 etwa verdreifachen und die der Photovoltaik sogar mehr als vervierfachen, sagt EWI-Experte Sprenger. Dies ist notwendig, um das Ziel zu erreichen, da auch der Jahresstromverbrauch auf 750 Terawattstunden ansteigen wird, im Vergleich zu 569 Terawattstunden im Jahr 2021.
Motorsägenhersteller Stihl übt Kritik bei der Umsetzung der Energiewende: „Dilettantismus ist ein zu schwaches Wort“
Nikolas Stihl, Vorsitzender des Beirats des Motorsägenherstellers Stihl, ist skeptisch, ob die Energiewende in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden kann. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagte er, dass er vor zehn Jahren bereits bezweifelt hatte, dass die Stromnetze in Deutschland innerhalb einer Dekade ausgebaut werden kann, um den Strom aus Windparks im Norden in den Süden zu transportieren. Er sagte, dass nur etwa 2000 von 12.000 benötigten Kilometern an Stromleitungen bisher fertiggestellt wurden. Stihl betonte, dass ihn diese Entwicklung mehr beunruhigt als die aktuell hohen Energiepreise und dass es nicht so aussieht, als ob es in absehbarer Zeit Fortschritte geben wird. Dilettantismus sei ein zu schwaches Wort, bei der Umsetzung der Energiewende, so Stihl (Handelsblatt: 27.12.22).
Woher Robert Habeck seinen Optimismus nimmt, bleibt sein Geheimnis. Mit den entsprechenden Experten und den betroffenen Unternehmen, die seine Vorgaben umsetzen sollen, hat er offensichtlich nicht gesprochen.
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