Alexander Becker, CEO der Georgsmarienhütte, appellierte bereits im vergangenen Herbst eindringlich an die Bundesregierung: „Ich kann Sie nur anflehen, Herr Habeck: Reduzieren Sie die Netzentgelte!“ Auf einer Veranstaltung der Stahlbranche in Berlin blieb dieser Ruf jedoch folgenlos. Zwar hörte Robert Habeck aufmerksam zu, konkrete Erleichterungen für das Werk Georgsmarienhütte blieben jedoch aus. Im Januar stoppte der Konzern deshalb tagsüber seine Produktion, um den explodierenden Energiekosten zu entkommen (wiwo: 28.04.25).
Wahlkampfversprechen für die Georgsmarienhütte ohne Wirkung
Während des Wahlkampfs besuchten sowohl Robert Habeck als auch Friedrich Merz die Georgsmarienhütte. Beide kündigten Unterstützung an, doch konkrete Entlastungen blieben bis heute aus. An der Bundesstraße 51 prangt ein riesiges Banner: „Das klimafreundlichste Stahlwerk Deutschlands – Zieht uns nicht den Stecker.“ Die Mahnung richtet sich klar an die Politik, denn noch immer lasten hohe Energiekosten schwer auf dem Unternehmen.
Als Vorreiter im Bereich grüner Stahlerzeugung trafen die Preisschübe die Georgsmarienhütte besonders hart. Neue Sonderzölle in den USA könnten die Lage verschärfen, da chinesische Stahlmengen verstärkt nach Europa drängen. Hoffnung bringen aktuell erste Aufträge aus der Rüstungsbranche.
Tradition trifft Innovation: Die Geschichte der Georgsmarienhütte
Im firmeneigenen „Emotioncenter“ erklärt CEO Becker die schwierige Ausgangslage. Die Georgsmarienhütte liefert rund 70 Prozent ihrer Produkte an die Automobilindustrie und 30 Prozent an Maschinenbauer. Leidenschaftlich kritisiert Becker die Politik: „Vielen Dank für nichts.“ Immerhin biete der angekündigte Industriestrompreis ein Zeichen der Hoffnung, doch eine schnelle Umsetzung bleibe dringend erforderlich.
Die Geschichte der Georgsmarienhütte reicht bis ins Jahr 1856 zurück. Ursprünglich als königliches Geschenk gegründet, modernisierte Jürgen Großmann das Werk in den 1990er-Jahren grundlegend. Heute beschäftigt die Holding 6000 Mitarbeiter und produziert jährlich rund 1,3 Millionen Tonnen Rohstahl. Hauptprodukt bleibt der Stabstahl, etwa für Kurbelwellen.
Ohne wettbewerbsfähige Energiepreise droht das Aus
Alexander Becker macht keinen Hehl daraus: Ohne drastische Kostensenkungen verliert Deutschland an Wohlstand. Seit 2019 haben sich die Energieausgaben der GMH-Gruppe mehr als verdoppelt. Investitionen mussten stark reduziert werden. Früher investierte die Georgsmarienhütte jährlich rund 21 Millionen Euro in moderne Anlagen, heute fehlen dafür die Mittel.

Bild: ©GMH-Gruppe
Ein fairer Industriestrompreis zwischen 40 und 60 Euro pro Megawattstunde und ein Gaspreis von 20 Euro erscheinen für Becker unverzichtbar. Laut Koalitionsvertrag ist eine Senkung der Strompreise geplant, doch die Umsetzung verzögert sich weiterhin.
Grüner Stahl als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit
Im Werk Georgsmarienhütte läuft die Produktion fast vollständig CO2-neutral ab. In der Schrotthalle entsteht aus recyceltem Material neuer Stahl. Werksleiter Manuel Foppen zeigt den innovativen Prozess: Elektroschrott wird eingeschmolzen, der CO2-Ausstoß bleibt minimal.
Obwohl das Unternehmen großen Wert auf klimafreundliche Produktion legt, bleibt Erdgas bislang unverzichtbar. Becker fordert deshalb neue Förderprojekte in Norddeutschland und langfristig wieder stabile Handelsbeziehungen mit Russland – allerdings erst nach Kriegsende.
Gleichzeitig setzt die Georgsmarienhütte auf neue Märkte. Grüner Stahl verursacht nur geringe Mehrkosten und könnte durch gezielte staatliche Nachfrage – etwa bei der Deutschen Bahn oder öffentlichen Einrichtungen – endlich profitabel werden.
Mehr strategische Entschlossenheit wünscht sich Becker von der deutschen Politik. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass China seine industrielle Wettbewerbsfähigkeit gezielt stärkt. Umso wichtiger erscheint ihm schnelles Handeln in Deutschland. Seine Hoffnung richtet sich klar auf die neue Regierung: „Wir glauben an die neue Bundesregierung. Wir glauben, dass es wieder besser wird in Deutschland.“
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