Es gibt in Deutschland ganz offensichtlich viel mehr private Ladestationen für Elektroautos, als die Netzbetreiber wissen. Die Versorger befürchten allerdings große Herausforderungen, denn sie müssen ihre Infrastruktur an das Stromtanken anpassen. Die höchste Dichte an E-Autos und damit auch an nicht gemeldeten Ladestationen gibt es wohl in den besseren Wohngegenden der Gutverdiener.
Wie groß ist die Gefahr einer Netzüberlastung durch Ladestationen für Elektroautos?
Das Stromnetz dürfte auf absehbare Zeit durch das Betanken der Elektroautos nicht zusammenbrechen. Das haben der Elektrizitätsbranchenverband Eurelectric und die Berater von Ernst & Young in einer gemeinsamen Studie bereits ermittelt. Demnach könnte der europäische Stromverbund auch eine deutlich höhere Zahl von Ladestationen für E-Autos versorgen. Er muss sich allerdings darauf mit infrastrukturellen Maßnahmen vorbereiten. Wichtig sind Kenntnisse zur Zahl und den Standorten der privaten Ladestationen. Genau hieran hapert es aber deutlich, wie die Energieversorger erklären.
Lediglich ~30 % der privaten Ladestationen für Elektroautos sind gemeldet
Das Handelsblatt hat zur Problematik mit dem EWE-Manager Markus Joachim Schirmer gesprochen. EWE ist der fünftgrößte deutschen Energieversorger. Schirmer bestätigte gegenüber den Journalisten eine „hohe Dunkelziffer“ bei den privaten Ladestationen für Elektroautos. Im Netzgebiet seines Unternehmens seien nur rund 10.000 Ladesäulen gemeldet, man gehe aber von insgesamt etwa 30.000 vorhandenen Ladeeinrichtungen aus. Die Versorger können das anhand typischer Stromspitzen und aufgrund weiterer Daten schätzen. Für das Stromnetz ist das aus mehreren Gründen kontraproduktiv: Wenn viele E-Auto-Fahrer gleichzeitig ihre Autos aufladen, entsteht hohe Ströme, die eine lokale Verstärkung des Stromnetzes erfordern. Deshalb ist dort oft eine neue Kabelverlegung mit größeren Querschnitten erforderlich.
Diese Stromspitzen stellten die Techniker von EWE in wohlhabenderen Stadtvierteln und Straßen fest, die sie spöttisch „Zahnarztalleen“ nennen. Wie hoch der infrastrukturelle Nachholbedarf wirklich ist, können die Netzbetreiber nicht einschätzen, wenn die Ladestationen nicht gemeldet sind. Das ist nur eines der Probleme. Ein weiteres ist die Verteilung des Stroms. Hierfür muss das Stromnetz der Zukunft intelligenter werden, damit es die Lasten besser verteilen kann. So wäre es möglich, dass E-Autos in der Sammelgarage der betreffenden Wohngegend zwar abends etwa zeitgleich an ihre Wallboxen angeschlossen, aber nacheinander aufgeladen werden.
Wenn die Wallboxen bekannt sind, lässt sich das technisch einrichten. Die Besitzer würden davon meistens gar nichts merken, denn moderne Batterien von Elektroautos müssen nicht mehr acht bis zehn Stunden lang aufgeladen werden. In der Regel genügen zwei bis drei Stunden. Morgens sind dann alle Akkus voll. Sollten jedoch alle Ladevorgänge gleichzeitig starten, dauert das Laden deutlich länger und könnte unter Umständen morgens noch nicht abgeschlossen sein. Die Besitzer würden sich also mit der Meldung ihrer Ladestation an den Versorger selbst einen Gefallen tun.
Existiert das Problem flächendeckend?
Möglicherweise schon, wie die Recherchen der Journalisten ergaben, jedoch merken es vielleicht nicht alle Energieversorger. Eine weitere Meldung zur Sache kam von E.ON. Die dortigen Ingenieure bestätigten die Beobachtung ihrer Kollegen von EWE. Eine zentrale Stelle hingegen, welche die Anmeldung der privaten Ladesäulen überprüft, gibt es in Deutschland nicht. Das ist erstaunlich, denn die Meldung ist gesetzlich vorgeschrieben. Bis zu einer Bemessungsleistung von 12 kVA müssen Ladestationen gemeldet werden, bei höherer Leistung sind sie sogar durch den Netzbetreiber genehmigungspflichtig. Die Anmeldepflicht wurde bereits 2019 eingeführt. Mangels ausreichender Kommunikation ist das offenbar in der Bevölkerung wenig bekannt. Noch häufiger dürfte wohl der Dienstleistungsbetrieb, der die Wallbox installiert und angeschlossen hat, dem Kunden gesagt haben, er übernehme die Anmeldung – was er aber praktisch unterließ. Andere Kontrollmöglichkeiten beispielsweise durch die KfW, die Wallboxen fördert und daher eigentlich Daten dazu hat, werden nicht genutzt.
Fazit
Das Problem muss angegangen werden, denn heute werden Eigenheime schon obligatorisch mit einer Wallbox in der Garage errichtet, auch wenn die Familie noch kein E-Auto fährt. Irgendwann ziehen die vielen Ladestationen im Land dann auf einmal Strom und treffen auf eine unvorbereitete Infrastruktur. Dann könnte das Netz wirklich eines Tages kollabieren.