EU relativiert Umweltfreundlichkeit von E-Autos – das Verbrennerverbot wankt

Die Zukunft der europäischen Automobilindustrie hängt entscheidend von Brüssel ab. Ursprünglich galt das Ziel, ab 2035 keine Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren mehr zu erlauben. Reine Elektroautos sollten das Straßenbild prägen. Nun signalisiert die EU-Kommission jedoch, den Kurs früher als geplant zu überprüfen und will dazu die CO₂-Bilanz von Elektroautos mit neuen Messmethoden besser zu bestimmen. Damit entsteht die Möglichkeit, den Herstellern eine Lösung zu bieten, die ihre Wettbewerbsfähigkeit schützt, ohne dass Brüssel offen eingesteht, das Verbrennerverbot sei ein Fehler gewesen. Entscheidend ist dabei die Frage nach der tatsächlichen Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge.


Streit um Messmethoden und Umweltfreundlichkeit

Bislang zählt ausschließlich der CO₂-Ausstoß am Auspuff. Fachleute sprechen von „Tailpipe Emissions“. Dieses Verfahren bewertet nur, was direkt beim Fahren entsteht. Kritiker halten diesen Ansatz für zu oberflächlich, da sowohl Batterieproduktion als auch der Strommix erhebliche Mengen CO₂ verursachen. Matthias Zink, Präsident des Zuliefererverbandes CLEPA, betont: „Der Energieträger ist die Quelle für CO₂, nicht die Antriebstechnologie.“ Damit rückt die gesamte CO₂-Bilanz in den Fokus der Debatte.

Die EU relativiert die Umweltfreundlichkeit von Elektroautos und will deren CO₂-Bilanz mit neuen Messmethoden besser bestimmen
Die EU relativiert die Umweltfreundlichkeit von Elektroautos und will deren CO₂-Bilanz mit neuen Messmethoden besser bestimmen

Ein Umdenken kommt auch den Parteien der EVP entgegen, die der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nahestehen. Dort setzt man auf eine Lebenszyklusbetrachtung: Von Rohstoffabbau über Nutzung bis hin zur Entsorgung. Klassische Motoren hätten damit eine zweite Chance, da die Umweltfreundlichkeit umfassender bewertet wird.

Politische Taktik statt Kurskorrektur

Die EU bewegt sich in einem heiklen Spannungsfeld. Einerseits soll der Klimakurs glaubwürdig bleiben, andererseits wächst die Angst vor einer Industriekrise. Deshalb wirkt der Vorstoß, die Regeln neu zu prüfen, wie ein taktisches Manöver: Brüssel öffnet Hintertüren für Verbrenner, ohne das Verbrennerverbot offiziell aufzugeben. Begriffe wie „Technologieoffenheit“ oder „neue Messmethoden“ lassen erkennen, dass es nicht um ein Abweichen von Zielen geht, sondern um eine mögliche Lösung zur Rettung der europäischen Automobilindustrie.

Hersteller zwischen Hoffnung und Druck

BMW arbeitet an einem Serienmodell mit Wasserstoffantrieb für 2028. Porsche investiert in E-Fuels in Südamerika. Volkswagen setzt weiter auf Plug-in-Hybride. Diese Projekte zeigen, dass große Konzerne Alternativen entwickeln, um sich nicht allein auf Elektroautos zu verlassen.

Zulieferer wie Mahle warnen jedoch: Zwei Drittel der 30.000 Arbeitsplätze im Konzern hängen am Verbrenner. Konzernchef Arnd Franz macht klar: „E-Mobilität ist gesetzt, auch für Mahle. Aber Europa muss entscheiden, ob es darüber hinaus eine seiner Kerntechnologien erhalten oder an andere Märkte abgeben will.“ Ohne Flexibilität droht der Verlust von Schlüsselkompetenzen an Asien oder die USA – ein Risiko für die gesamte Automobilindustrie.


Unsicherheit am Markt

Nicht alle begrüßen den Kurswechsel. Branchenexperte Thomas Weber warnt: „Bereits getroffene Entscheidungen zu revidieren, würde neue Unsicherheit am Markt verursachen.“ Unternehmen benötigen verlässliche Leitplanken, um Milliardeninvestitionen abzusichern.

Dienstleister der Elektromobilität hingegen drängen auf konsequentes Handeln. Jeroen van Tilburg, Chef des Schnellladenetzes Ionity, hält fest: „Das Festhalten am Auslaufen der Verbrennerzulassung 2035 ist entscheidend, wenn Europa seine Klimaziele erreichen und seine industrielle Wettbewerbsfähigkeit sichern will.“ Für ihn steht fest: Je sauberer der Strommix, desto besser die CO₂-Bilanz von Elektroautos.

Zahlenvergleich zeigt Widersprüche

BMW stellt eine Rechnung auf: Der Benziner 520i verursacht nach 200.000 Kilometern 45,7 Tonnen CO₂. Der Elektro-i5 liegt bei 29,1 Tonnen. Zwar zeigt der Stromer deutlich bessere Werte, doch die Bilanz ist weit entfernt von null. Die EU-Einstufung als emissionsfrei erscheint deshalb immer fragwürdiger. Auch die tatsächliche Umweltfreundlichkeit von Elektroautos bleibt damit strittig.

Rolle alternativer Kraftstoffe

E-Fuels gelten als mögliche Brücke. Doch Umweltverbände halten dagegen: Synthetische Kraftstoffe werden eher in Flugzeugen, Schiffen oder Schwerindustrie benötigt. Biomasse gilt zudem als knapp und größtenteils ausgeschöpft.

Zuliefererverbände wie CLEPA verweisen auf Studien, die bei ausreichend Investitionen ein anderes Bild zeichnen. Demnach ließe sich der Straßenverkehr bis 2050 weitgehend klimaneutral mit erneuerbaren Kraftstoffen betreiben – vorausgesetzt, die Politik schafft verlässliche Rahmenbedingungen. Auch hier steht die Automobilindustrie unter Druck, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.

Die EU ringt mit einem Dilemma: Offiziell bleibt das Verbrennerverbot bestehen, praktisch entstehen neue Spielräume. Der Kurs wirkt wie ein Versuch, die Automobilindustrie vor einem Absturz zu bewahren, ohne ein Scheitern der ursprünglichen Pläne einzugestehen. Im Zentrum steht die Umweltfreundlichkeit der Elektroautos – und die Erkenntnis, dass einfache Antworten in dieser Debatte nicht existieren.

Lesen Sie auch:

Nach oben scrollen