Die ETH-Professorin Annalisa Manera warnt vor einseitiger Kritik an der Kernkraft. Die Diskussion um neue Atomkraftwerke in der Schweiz bleibt aktuell. Denn Wärmepumpen und Elektromobilität steigern den Strombedarf massiv. Gleichzeitig verschwinden mit dem Rückbau der heutigen Reaktoren verlässliche CO₂-freie Stromquellen. Ohne neue Kernkraftwerke droht ein riskanter Anstieg der Importe und der Emissionen (tagesanzeiger: 13.07.25).
Professorin widerspricht Berichten über fehlende Wirtschaftlichkeit
Laut Professorin Manera verzerren staatliche Subventionen die Wirtschaftlichkeitsdebatte. Der Bericht der Akademie der Naturwissenschaften verkenne zentrale Fakten. Die Autoren beschränkten sich auf Annahmen, die Atomkraft schwächen und erneuerbare Energien überhöhen. Der Verweis auf politische Widerstände gegen neue AKW blende aus, dass sich die öffentliche Meinung je nach Fragestellung stark unterscheide. Mehrere Umfragen zeigten klare Mehrheiten, sobald Versorgungssicherheit zur Sprache komme.

Auch die Bauzeiten hält Manera für falsch eingeschätzt. Ein Windpark am Gotthard benötigte 18 Jahre für fünf Anlagen, die nur ein 750stel der Leistung eines modernen Reaktors liefern. Allgemein rechnet selbst der Verband Suisse Éole mit bis zu 25 Jahren bis zur Inbetriebnahme eines Windparks. Ein neues AKW könnte diesen Zeitraum mindestens ebenso gut einhalten.
Subventionen machen Windstrom teurer als Atomstrom
Ein zentrales Argument gegen Atomkraft – angeblich hohe Kosten – hält einer genauen Prüfung nicht stand. Manera verweist auf das Projekt Hinkley Point in Großbritannien: 10 Rappen pro Kilowattstunde gelten dort als marktfähiger Preis. Gleichzeitig kassieren Schweizer Windparks bis zu 23 Rappen in den ersten Jahren – gestützt durch Subventionen.
Würde man einem neuen KKW dieselben Fördermittel gewähren wie der Windenergie, ließen sich die gesamten Investitionen in nur fünf Jahren amortisieren. Danach entstünden nur noch minimale Betriebskosten, da Uran vergleichsweise günstig ist. Auch bei langer Laufzeit von 60 bis 80 Jahren bleibe der Strom stabil günstig – anders als bei Windrädern, die nach 25 Jahren ersetzt werden müssen.
Professorin betont Rolle der Versorgungssicherheit
Ein weiterer Punkt: Die flexible Leistung moderner Reaktoren. Laut Professorin Manera lassen sich Anlagen heute in wenigen Minuten um 80 bis 100 Megawatt regeln. In Frankreich gehört das zum Alltag. Zwar erzeugen Kernkraftwerke vorrangig Bandenergie, doch die Strompreise im Winter sprechen für saisonalen Betrieb. Selbst bei reduziertem Laufzeitmodell überwiege der Vorteil gegenüber Windkraft – wenn man die Netz- und Ausgleichskosten ehrlich einrechne.
Politische Risiken behindern jedoch neue Projekte. Investoren müssten mit dem Bau beginnen, ohne eine gesicherte Betriebsbewilligung. Einsprachen könnten Millioneninvestitionen gefährden. Manera fordert eine Überarbeitung dieses Verfahrens – sonst bleibe Kernenergie ein theoretisches Konzept.
Geringe Abfallmenge, hohe Energiedichte
Zum Thema Sicherheit: Neue Reaktoren verfügen über automatische Abschaltungen und passive Kühlsysteme. Auch bei einem Totalausfall des Netzes bleiben sie stabil. Die oft genannte Entsorgungsproblematik erscheint relativiert, wenn man die tatsächliche Abfallmenge kennt: 1500 Kubikmeter hoch radioaktiver Müll in 60 Jahren – das entspricht zwei Einfamilienhäusern. Zum Vergleich: Die chemische Industrie verursacht weitaus gefährlichere Stoffe, die dauerhaft giftig bleiben.
Energiepolitik verlangt daher mehr als symbolische Schlagworte. Wer die Zukunft sichern will, muss nüchtern vergleichen – und darf tragfähige Optionen wie die Kernkraft nicht vorschnell ausschließen.
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