Das ifo Institut hat den Einfluss der drastisch gestiegenen Energiekosten auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaftsleistung untersucht. Das Ergebnis: Die Realeinkommensverluste betragen etwa 64 Milliarden Euro beziehungsweise 1,8 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bereits im Jahr 2021 waren es gut 35 Milliarden Euro oder 1,0 Prozent. Durch die gestiegenen Gas- und Ölpreise wurden diese Summen aus Deutschland vom Ausland regelrecht abgesaugt (ifo: 08.11.22).
Realeinkommensverlust beträgt bereits 110 Milliarden Euro
Timo Wollmershäuser, Leiter der ifo Konjunkturprognosen, sieht allerdings noch kein Ende. „Im nächsten Jahr kommen voraussichtlich noch einmal gut 9 Milliarden Euro oder 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung hinzu“, sagt er. „Zusammen beträgt der Realeinkommensverlust knapp 110 Milliarden Euro oder 3,0 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Jahres. Nur während der zweiten Ölpreiskrise in den Jahren von 1979 bis 1981 fiel er mit 4 Prozent der Wirtschaftsleistung noch höher aus. Die erste Ölpreiskrise 1973/74 beziffern wir auf minus 1,5 Prozent“, kommentiert Wollmershäuser die Situation.
Wollmershäuser verwies darauf, dass der derzeitige Realeinkommensrückgang auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben wird. Das sei darauf zurückzuführen, dass die Energiepreise mit dem Wegfall Russlands als Lieferant wohl dauerhaft hoch bleiben werden. Dazu komme, dass Deutschland weiterhin auf den Import von Energieträgern angewiesen sei.
Politiker müssen Rückgang bei der Verteilungsdiskussion berücksichtigen
Die Realeinkommensverluste an das Ausland seien laut Wollmershäuser eine wichtige Größe. Diese müssten die Politiker vor allem bei der aktuellen Verteilungsdiskussionen berücksichtigten. Der ans Ausland zur Begleichung der Importrechnung für Energieträger abgegebene Teil der deutschen Wirtschaftsleistung stehe im Inland nicht mehr für eine Verteilung zur Verfügung.
„So muss bei Lohnverhandlungen berücksichtigt werden, dass die hohen Preise für in Deutschland produzierte Waren und Dienstleistungen nicht Folge eines Booms sind, der die Gewinne der Unternehmen sprudeln lässt. Sie spiegeln vor allem die hohen Kosten wider, die für importierte Energie und Vorprodukte bezahlt werden müssen. Das zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer zu verteilende Einkommen muss also um die Realeinkommensverluste korrigiert werden“, erklärt Wollmershäuser. „Staatliche Unterstützungsmaßnahmen können die Höhe des Realeinkommensverlustes nicht verändern. Sie können lediglich Einfluss nehmen auf den Anteil, den einzelne Bevölkerungsgruppen zu tragen haben. Und sie können die Verluste über die Zeit hinweg auf zukünftige Generationen verschieben, wenn die Maßnahmen etwa durch Schulden oder weniger Investitionen finanziert werden.“
Wollmershäuser verwies auch darauf, dass die gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftverluste der Jahre von 1979 bis 1981 erst im Jahr 1986 wieder ausgeglichen werden konnten, als ein kräftiger Verfall der Ölpreise einsetzte und gleichzeitig die D-Mark spürbar gegenüber dem US-Dollar aufwertete. Aktuell ist allerdings eher das Gegenteil der Fall. Mit dem Importverbot für russisches Erdöl zum Jahresende und der Reduzierung der Fördermengen durch die OPEC werden die Ölpreise eher weiter steigen. Dazu kommt, dass der Euro gegenüber dem Dollar mittlerweile gut 30 Prozent an Wert verloren hat.
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