Deutschlands Energiepolitik basiert auf überzogenen Annahmen und ignoriert Einsparpotenziale in Milliardenhöhe. Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt: Mit zwanzig gezielten Maßnahmen ließen sich bis 2035 rund 370 Milliarden Euro einsparen. Die Stromkosten für Verbraucher könnten spürbar sinken – doch in der Realität bleibt die politische Umsetzung weitgehend aus. Im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD fehlt von konsequenter Energiepolitik nahezu jede Spur (welt: 22.03.25).
Kurskorrektur in der Energiepolitik dringend erforderlich
BCG analysierte, wie sich der finanzielle Aufwand für die Energiewende reduzieren lässt. Der Studie zufolge wäre eine Ersparnis von bis zu 18 Prozent bei der Stromrechnung denkbar. Trotzdem greift das politische Papier lediglich zwei der vorgeschlagenen Maßnahmen vollständig auf, sechs weitere nur in Teilen. Die restlichen zwölf bleiben unerwähnt – und das trotz drängender Probleme in Industrie und Haushalten.

„Hohe Energiekosten sind nicht erst seit der Energiekrise eine der größten Sorgen deutscher Industrieunternehmen“, erklärt Holger Lösch vom BDI. Er fordert, aktuelle Planungen an reale Entwicklungen anzupassen. Ohne gezielte Effizienzmaßnahmen drohen dauerhaft überhöhte Ausgaben.
Wasserstoff als Kostenfalle
Ein zentrales Problem der derzeitigen Strategie liegt im übertriebenen Vertrauen auf Wasserstoff. Die Bundesregierung erwartet für 2040 einen Bedarf von 430 Terawattstunden – fast zwei Drittel des heutigen Erdgasverbrauchs. Aus Sicht der Studienautoren ist das unrealistisch und ökonomisch nicht vertretbar. Selbst bei steigenden CO₂-Kosten bleibt Wasserstoff unverhältnismäßig teuer.
Laut BCG sollte die Umstellung aller Gaskraftwerke auf Wasserstoff nach 2035 überdacht werden. Alternativen wie blauer Wasserstoff, CO₂-Abscheidung oder biogene Brennstoffe seien kostengünstiger. Besonders problematisch erscheint der geplante Einsatz von Wasserstoff zur Stromerzeugung im Jahr 2045: Obwohl Gaskraftwerke dann nur zehn Prozent des Stroms liefern, würden sie 30 Prozent der Gesamtkosten verursachen.
Netzausbau überdimensioniert und teuer
Auch beim prognostizierten Stromverbrauch liegen die politischen Erwartungen deutlich über dem Machbaren. Bis 2045 soll sich der Bedarf mehr als verdoppeln – eine Annahme, die sich kaum mit den aktuellen Entwicklungen bei Elektroautos und Wärmepumpen deckt. Laut Studie müsste der Verkauf von Verbrennern sofort enden, um die E-Auto-Ziele zu erreichen. Die Realität sieht anders aus.
Durch realistischere Zielvorgaben ließen sich immense Summen einsparen. Statt 1,1 Billionen Euro könnten für den Umbau des Energiesystems rund 740 Milliarden genügen. Der Verzicht auf überflüssigen Netzausbau allein ergäbe ein Einsparpotenzial von 190 Milliarden Euro. Auch der effizientere Ausbau erneuerbarer Energien könnte weitere 140 Milliarden einsparen.
Energiepolitik braucht regionale Strategien
Einheitliche Ausbaupläne führen zu teurer Infrastruktur und unnötigen Belastungen. BCG empfiehlt deshalb einen regional gesteuerten Ausbau. Große Freiflächenanlagen seien wirtschaftlicher als viele kleine Solardächer. Zudem sollten private Anlagen – etwa Wallboxen oder Heimspeicher – stärker in die Netzplanung eingebunden werden.
Zur Versorgungssicherheit schlägt die Studie vor, auch unpopuläre Maßnahmen zu prüfen. Eine verstärkte Nutzung heimischer Erdgasquellen, notfalls durch Hydraulic Fracturing, könne das Angebot stabilisieren. Die Kernkraft hätte ebenfalls helfen können: Laut BCG erhöhte der Atomausstieg die Stromsystemkosten und bremste die CO₂-Reduktion. Neubauten gelten jedoch als zu spät wirksam – warum bestehende Anlagen nicht reaktiviert werden, bleibt unklar.
Strom bleibt teuer – auch mit Reformen
Das grüne Versprechen von dauerhaft günstiger Energie ist endgültig passé. Seit 2010 stiegen die Systemkosten um 70 Prozent. Die Strompreise liegen bis zu 2,5-mal über dem Niveau internationaler Wettbewerber. Haupttreiber: eine ineffiziente Energiewende sowie die Energiekrise nach dem Ukraine-Krieg.
Selbst bei Umsetzung aller 20 Empfehlungen sinken die Kosten laut Studie nur auf 154 Euro pro Megawattstunde – ein Niveau, das noch immer deutlich über dem von 2010 liegt. Die Energiepolitik hat damit ihre zentrale Aufgabe verfehlt: bezahlbare Versorgung für alle.
Industrie braucht verlässliche Unterstützung
Der BDI betont: Auch bei effizienterer Umsetzung bleibt die Industrie auf politische Entlastung angewiesen. Ohne gezielte Unterstützung fehlt die Wettbewerbsfähigkeit. Carsten Rolle vom BDI fordert daher: „Unnötige Zusatzbelastungen für die Industrie, wie sie sich zum Beispiel aus einer Gasspeicher-Umlage ergeben oder bei einer Grüngasquote entstehen könnten, sollten zukünftig unbedingt vermieden werden.“
Die Analyse zeigt: Eine ehrliche und zukunftsfähige Energiepolitik muss wirtschaftliche Realität und technische Machbarkeit endlich ernst nehmen. Andernfalls bleibt die Energiewende ein teures Projekt mit begrenztem Nutzen.
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