Die Situation ist absurd: Trotz voller Gasspeicher ist der Gaspreis stark gesunken. Das Gas wartet vor der Küste. Ein Energieexperte kritisiert die europäischen Regierungen stark (Merkur, 13.12.2022).
Deutschland hat sehr große Anstrengungen unternommen, um sich vom russischen Gas zu lösen, seit es den Krieg in der Ukraine gibt. Die Regierung hat die Gasspeicher gefüllt, die Industrie und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgerufen und schnell Investoren für Schiffe mit Flüssigerdgas gefunden.
Erste Anlegestelle für LNG-Schiffe in Deutschland eingeweiht
Am 15. November wurde in Wilhelmshaven die erste Anlegestelle für Schiffe mit Flüssiggas (LNG) in Deutschland eingeweiht. Die Bauarbeiten wurden in wenigen Monaten abgeschlossen. Bisher gibt es in Deutschland keine LNG-Terminals, Flüssiggas wird über Einspeisepunkte in Frankreich oder den Niederlanden nach Deutschland gebracht.
Deutschland benötigt im Moment kein Gas und kann auch kein weiteres mehr aufnehmen, da die Gasspeicher voll sind. Die Auslastung der Gasspeicher in der EU beträgt über 95 Prozent. Spanien kann zum Beispiel kein Gas mehr aufnehmen – LNG-Tanker warten vor der spanischen Küste darauf, endlich anlegen zu dürfen.
Andere Gasverkäufer halten ihre LNG-Schiffe bewusst zurück und lassen sie vor europäischen Küsten treiben, in der Hoffnung auf steigende Preise. Der Preis für Erdgas ist nach seinem Rekordhoch während des Krieges in der Ukraine aufgrund des milden Herbstes und der sinkenden Nachfrage stark gefallen.
Energieexperte kritisiert europäische Regierungen wegen Gashamsterei
Thierry Bros, Professor für Energie an der renommierten französischen Hochschule Sciences Po Paris, kritisiert die europäischen Regierungen angesichts dieser absurden Situation. „Die EU hat es dieses Jahr mit der Gashamsterei übertrieben“, sagte er dem Spiegel. In der gesamten EU gibt es nur noch wenig Kapazität, um zusätzliches Gas aufzunehmen, weshalb sich nun die LNG-Schiffe stauen.
Laut Bros wäre es intelligenter gewesen, die Speicher nicht so stark zu füllen. „Mehr Augenmaß beim Gaseinkauf hätte die Versorgung im laufenden Winter wahrscheinlich deutlich günstiger gesichert“, sagte Bros dem Spiegel. Auch beim Energiesparen habe Europa übertrieben. „Man hätte den Industrieverbrauch gar nicht so drastisch senken müssen. Die volkswirtschaftlichen Schäden dürften insgesamt in die Milliarden gehen„, schätzte Bros laut dem Magazin (Spiegel, 15.11.2022).
Bros erklärt nicht, wie Politiker und Behörden diese Situation im Vorfeld hätten vorhersehen können. Die Regierung hat die Gasspeicher gefüllt, die Industrie und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgefordert und Investoren schnell für Schiffe mit Flüssigerdgas gewonnen, um die Energieversorgung der Bevölkerung zu sichern und Risiken einzugehen. Im Falle eines Scheiterns wollen sie nicht mit einem Mangel an Gas konfrontiert werden.
Laut Hanns Koenig, Marktexperte des Beratungshauses Aurora Energy Research, bleibt die Energiekrise bestehen, da jederzeit eine Kältewelle eintreten könne, wodurch die Nachfrage und der Preis für Gas ruckartig steigen würden. Daher sei es gut, dass Tanker vor Europas Küsten dümpeln und somit zusätzliche Speicher auf dem Meer darstellen, die nicht so leicht abgedreht werden können. Die Preise für Flüssiggas in Europa sind laut Koenig immer noch höher als in Asien (Merkur, 18.11.2022).
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